Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
bin der Einzige. In diesem Land ohne Fußgänger. Was mich etwas nervös macht. Jedes verdammte Auto ist voller Augen. Offensichtlich haben die noch nie jemanden zu Fuß gehen sehen. Das ist ja, wie vor ausverkauftem Haus im HNK auf der Bühne zu stehen. Aber es ist die einzige Chance. Ein Auto zu klauen ist nicht Maacks Stil, und ein Taxi wäre zu riskant.
Wie immer ist es taghell. Es ist 22:33 Uhr, und die Sonne hängt immer noch am Horizont wie ein orangener Lampion auf der Terrasse eines Chinarestaurants in Brooklyn. Was für ein schöner, lauer Frühlingsabend, die See ist spiegelglatt, und es sind angenehme zehn Grad.
Hä? Ich klinge wie ein englischer Gentleman. Muss am Hut liegen.
13. MORD & TOTSCHLAG GMBH
Ich habe einfach keinen Bock gehabt, die Maacks umzubringen. Das mit dem Hund hat gereicht. Ich habe immer noch kein anständiges Arbeitszeug und kann, um ehrlich zu sein, keinen weiteren Friendly gebrauchen. Nach einigem Nachdenken komme ich zu dem Schluss, dass auch Igor keine Alternative mehr ist.
Ich dachte immer, dass der Fehler, mich bei der Einreise als Igor ausgegeben zu haben (statt den ganzen Weg von JFK hierher Father Friendly zu sein), eigentlich ein Glücksfall war, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Die Tatsache, dass Mr. Friendly in jener Nacht mit Icelandair unterwegs gewesen, aber nie in Island eingereist ist, muss irgendwelche hochrangigen Alarmglocken zum Schrillen gebracht haben. Und nachdem sie die Leiche am JFK identifiziert hatten, mussten sie nur eins und eins zusammenzählen: Der Mörder ist mit dem Priester-Ticket nach Island geflogen. Dann haben sie die Passagierliste gecheckt, und alle haben sich als unbescholtene, gletscherbegeisterte Touristen herausgestellt, bis auf einen gewissen Igor. Den bestimmt auch die Aussage von dem Passkontrolleur als mutmaßlichen Friendly-Mörder zu erkennen gegeben hat. Als Igor das Land zu verlassen, steht nicht zur Debatte. Ich werde nicht die nächsten dreißig Jahre 32-Cent-Frikadellen essen und Snoop Dogg aus der nächsten Zellen wummern hören. Ich bin Fan von Creed, verdammt noch mal. Da bleibe ich lieber hier, im Land der zehn Grad Celsius, ohne Waffe, ohne Namen, ohne Plan.
Der Weg von Garten-Dabei nach Reykjavik dauert fast eine Stunde. Ein weißes Polizeiauto fährt vorbei. Ich bleibe cool. Das ist wie Seiltanzen. Ich muss mich die ganze Zeit konzentrieren. Ein Blick nach links, und ich könnte fallen. Und im Netz des FBI landen.
Ich nehme denselben Weg, den ich neulich mit Gunholder gefahren bin. Ich gehe zu ihr. Die Butterblondine ist meine einzige Hoffnung. Ich traue mich nicht, sie anzurufen. Ihr Telefon wird bestimmt abgehört. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sie mit Ballons und Brownies auf mich wartet, aber irgendwie spürt die Balkanbestie in mir, dass sie mir etwas anderes zeigen wird als nur die kalte Schulter.
Ich spaziere den unwirtlichen Bürgersteig einer Straße entlang, die Miklabraut heißt. Dreißig Autos pro Minute, rechts ein Park, auf der anderen Straßenseite ostdeutsch aussehende Nachkriegshäuser. Dann begegne ich dem ersten Passanten des Abends. Ein dünner, grauhaariger Mann joggt in einem roten, nassgeschwitzten T-Shirt auf mich zu. Sein Gesicht ist so schmerzverzerrt, als würde er Jesus am Kreuz spielen. Passend zum Rauchverbot wird es sicher bald ein Joggingverbot geben, das ist nur eine Frage der Zeit. Ich hatte fünf Jogger-Freunde in NYC. Wir haben uns viermal die Woche im Central Park getroffen, um für die Weiber in Form zu bleiben. Ich habe es nach sechs Monaten geschafft aufzuhören, aber sie konnten es einfach nicht bleiben lassen. Drei Jahre später hatten drei von ihnen all ihr Gewicht verloren. Nun ja, einer von ihnen ist meine Nummer 32 geworden, traurige Geschichte, aber die anderen beiden starben an Jogger-Krankheiten.
Als er an mir vorbeijoggt, gelingt es mir, mein Gesicht zu verbergen, indem ich meinen Hut zum Gruß erhebe wie ein altmodischer Filmschauspieler. Ich muss vorsichtig sein. Ab jetzt kennt man hier mein Gesicht. Vorhin war es sogar in den Fernsehnachrichten. Es war dasselbe Foto, das sie in der Zeitung hatten: ein furchtbares Polizeifoto aus meinen frühen Jahren in Deutschland. Jetzt sehe ich anders aus, dickere Wangen, keine Haare, aber ein intelligenter Jogger könnte mich trotzdem erkennen.
Als ich die Altstadt erreiche, scheint die Sonne endlich unterzugehen. Doch trotzdem ist es so hell wie in einer Leichenhalle. Hier gibt es nur noch wenig
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