Zehn zärtliche Kratzbürsten
erfahren muss, dass er zum Sachwa l ter eines tauben Sackes aus Dänemark gemacht worden war und ohne sein Wissen eine Tochter bekommen hatte. Auch mit vielen anderen Besorgnis erregenden Dingen war er auf seiner Tour ko n frontiert worden.
Rauno: Da fühlt man sich nicht gerade gut.
Irja schüttelte den Kopf. Rauno schien nie erwachsen zu werden. Sie fand, dass es ihm trotz allem prima ging. Er war gesund, besaß eine große Fabrik, hatte viele Freunde. In mittleren Jahren ein Kind zu bekommen war ein Geschenk des Herrn, und ein Mann wie Rauno sollte sich wegen eines dänischen Versagers keinen Kopf machen. Und auch seine Frau war vermutlich nicht endgültig von zu Hause weggegangen. Es war nur natürlich, dass eine Ehefrau, während ihr Mann sich in der Stadt amüsierte, inzwischen zum Beispiel eine Freundin besuchte. Die Tatsache, dass Annikki nicht auf die Tex t nachrichten antwortete, bedeutete rein gar nichts. Und hatte Rauno, benebelt vom Champagner, die Nachrichten überhaupt richtig abg e schickt? Wie lautete denn ihre Handynummer? War sie ihm genau geläufig, oder hatte er da vielleicht etwas durcheinandergebracht und grämte sich jetzt ganz umsonst? Auch hatte er ja sein eigenes Handy gar nicht eingeschaltet.
Die Psychologin reagierte wie immer, ihre Worte waren beruh i gend, logisch, aufmunternd. Sie ließ sich Raunos Handy geben, rief die Textnachrichten ab, und siehe da, es waren mehrere neue eing e gangen.
Irja: Hier sind mindestens zehn SMS, wart einen Moment …, und hier ist auch ein Gruß von deiner Frau.
Auf dem Display standen die heißersehnten Worte:
Lieber Rauno, du hast mir schon lange keine Nachrichten mehr geschickt, hast du etwa vergessen, dass ich eine neue Handynummer habe?
Rauno sah sich sein Handy genauer an und erinnerte sich jetzt, dass seine Frau tatsächlich eine neue Nummer besaß, seit sie sich unlängst ein neues Handy gekauft hatte, er aber hatte seine Nachric h ten an ihre alte Nummer geschickt. Aufgeregt tippte er einen lieb e vollen Gruß an sie ein:
Ist ja auch wahr, liebste Annikki. Mir geht's gut, ich komme am Abend heim. Die Blumen sind entsorgt.
Rauno jubelte: Jetzt musste er gar nicht mehr so dringend nach Hause, wenn seine Frau da war! Ehescheidung und Selbstmord waren in weite Ferne gerückt.
Irja lächelte traurig. Dann stand sie auf und ging ins Schlafzi m mer. Als sie zurückkam, hielt sie einen blau-schwarzen Revolver in der Hand, sie legte ihn auf den Tisch neben die Champagnerflasche.
Irja: Als wir uns damals in den Siebzigerjahren trennten, bekam ich fast eine Psychose, ich war ganz schrecklich deprimiert. Deine Sorgen sind vergleichsweise klein, wie du vorhin bemerkt hast. Ich hingegen besorgte mir diesen Revolver und wollte mir eine Kugel in den Schädel jagen.
Sie nahm einen Lippenstift aus ihrer Handtasche und malte mit wenigen raschen Strichen auf ihre Stirn über den Augen ein rotes Kreuz. Anschließend prüfte sie das Ergebnis im Handspiegel und sah Rauno dann scharf in die Augen.
Irja: Das ist ein Kreuzzeichen. Zig mal habe ich mit dem Revo l ver auf meine Stirn gezielt, genau auf diesen Punkt. So sehr habe ich dich geliebt, dass ich nahe daran war, mich umzubringen.
Rauno: Oh …, du als Psychologin hättest doch nicht wirklich Selbstmord begangen? Großer Gott, und auch noch meinetwegen?
Irja: Diese Waffe kann auch eine Psychologin halten, sieh her!
Sie nahm den Revolver vom Tisch und hielt den Lauf an das Li p penstiftkreuz auf ihrer Stirn. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug, aber sie drückte nicht ab. Rauno riss ihr die Waffe aus der Hand. Diese entlud sich plötzlich, und die Kugel riss ein Loch in die Tür eines Küchenschrankes. Rauno sicherte die Waffe und nahm das Magazin heraus, zwei Patronen rollten auf den Tisch. Irja stöhnte, sie hatte versäumt, die Geschosse herauszunehmen, hatte gedacht, die Waffe sei leer. Sie war dem Tod von der Schippe gesprungen. Rauno Rämekorpi steckte die Patronen in die Uhrtasche seines Fracks. Irja brachte die tödliche Waffe wieder ins Schlafzimmer, versteckte sie im Schrank hinter der Bettwäsche. Sie war immer noch blass.
Jetzt tat kalter Champagner gut. Rauno Rämekorpi versprach, eine neue Tür für den Küchenschrank zu besorgen. Er warnte Irja davor, das geladene Schießeisen in ihrer Wohnung zu haben. Nun, da sie sich beruhigt hatte, erkundigte sich Irja nach dem Geburtstag. Sie hatte vorgehabt, Rauno Blumen zu schicken, aber wie man sah, hatte er auch so genug bekommen. Er
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