Zehn zärtliche Kratzbürsten
retten können, zumal unter ihnen ein Verräter gewesen war: Judas. Nach Irjas Meinung hätte sich Jesus in die Berge zurückziehen und von dort einen gnadenlosen Partisanenkrieg beginnen müssen, so wäre aus ihm ein wirklicher Volksführer geworden, und die Geschichte des ganzen Mittelmeerraumes hätte anders ausgesehen.
Rauno: Die Pille beginnt schon zu wirken! Was Jesus betrifft, bin ich der Meinung, dass er nach der Hinrichtung bestimmt nicht von den Toten auferstanden ist. Ich habe über dieser Geschichte meine eigene Theorie.
Sie schlürften ein wenig Champagner. Dann legte der Industrierat seine persönlichen Gedanken über Jesus dar: Nachdem der Tote vom Kreuz hinuntergeworfen worden war, war er keineswegs in eine Grabkammer eingeschlossen worden, in der ihn Martha und Maria betrauert hatten, keiner hatte das tun können, vielmehr war er vor aller Augen geschändet worden, und dann hatten die römischen Soldaten den geschundenen Leichnam unauffällig an einen sorgfältig ausgewählten Ort verfrachtet, wo er begraben oder in den Fluss geworfen oder sonst wie beseitigt worden war.
Irja meinte darauf, dass die übernatürliche Auferstehung nur die psychologische Erklärung für Jesu Verschwinden war, alle wussten das, außer den Bischöfen und Priestern.
Rauno ließ sich zu Spekulationen hinreißen, wo die Knochen des armen Burschen heute wohl modern mochten. Hätte Irja nicht Lust mitzukommen? Sie könnten sich aufmachen und Jesus ausgraben, Raunos Firma würde die Kosten übernehmen.
Irja suchte im Bücherregal nach dem neuesten Weltatlas und blä t terte die Seiten mit dem Nahen Osten auf. Sie sahen sich die Top o graphie des Mittelmeerraumes an. Wie Rauno sofort feststellte, bewiesen die alten Landmarken, dass die Militärstraßen der Röme r zeit den heutigen Hauptrouten entsprachen, die Gebiete mit ihren Gebirgen und Flüssen hatten sich in zweitausend Jahren nicht viel verändert.
Der Industrierat begann zu errechnen, wie teuer es für seine Firma würde, Jesu Gebeine ans Tageslicht zu befördern.
Rauno: Wenn ich vom Jahresgewinn sagen wir mal drei Prozent investieren würde …, damit ließen sich mühelos zwei oder drei Forschungsgruppen ausstatten, und da über die Wege, die Jesus zu Lebzeiten genommen hat, Tausende von Büchern geschrieben worden sind, braucht man nicht jeden Stein umzudrehen.
Irja: Falls wir fündig werden, wie können wir dann beweisen, dass es sich wirklich um Jesu Skelett oder dessen Überreste handelt?
Rauno: Überreden wir doch die finnische Zahnpathologin Helena Ranta mitzukommen, das ist genau die Frau, die wir bei der Identif i zierung brauchen.
Auch Irja gewann zunehmend Interesse: Man müsste irgendeine uralte Hostie finden, auf der sich ein Zahnabdruck Jesu befände, dann könnte die Spezialistin wissenschaftlich fundiert belegen, dass die echten Knochen Jesu nach Finnland gebracht worden sind. Eine wirklich tolle Sache, mehr Champagner bitte!
Rauno betonte, dass die Weisen aus dem Morgenland vor zwe i tausend Jahren anhand der damaligen Sternenkunde den Weg zu Jesu Krippe gefunden hatten, also dürfte es heute den Finnen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, seine Knochen zu f inden.
Rauno: Trinken wir darauf, es lebe Jesus!
Irja wurde ernst. Natürlich wäre es schön, nach Israel zu fahren, aber Jesu Knochen könnten nicht die Probleme der heutigen Zeit lösen. Gelegentlich hatte sie daran gedacht, sich gänzlich von der Welt zurückzuziehen, Eremit zu werden, aber nicht im Kloster, sondern weit weg in der Wildnis zu leben. Sie hatte schon richtig ernsthaft Pläne geschmiedet: Sie würde sich irgendwo hinter Soda n kylä eine Blockhütte bauen, Hackfrüchte anbauen, Wild und Fische fangen … Gut wäre es, einen jagderprobten Mann dabei zu haben, aber sonst nichts. Zurück zur Natur, so wie es die russischen Al t gläubigen im neunzehnten Jahrhundert getan hatten, deren Nac h kommen man auch heute noch, hundert Jahre später, in abgelegenen Winkeln Sibiriens treffen konnte. Das wäre doch das Ideal für den enttäuschten Menschen!
Die Stunde war überraschend schnell vergangen. Irja half Rauno aus seinen Frackfetzen, und sie probierten aus, wie sein Organismus die neueste Wundermedizin aufgenommen hatte. Es gab keinen Grund zur Kritik!
10 Ulla-Maija
Da es Wochenende war, konnte Rauno den zerrissenen Frack nicht zum Ausbessern zu Schneider Kronquist bringen, und das gute Stück wäre sowieso nicht wieder geworden wie früher, denn es
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