Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
schrie er mit zornigem Gesicht.
Tannenberg trat zwei Schritte zur Seite und verschaffte sich dadurch freie Sicht nach oben. Schadenfroh reckte er dem Hubschrauberpiloten und seinem aufdringlichen Passagier den ausgestreckten Mittelfinger entgegen.
»Klasse Aktion, Karl«, lobte er anschließend und boxte seinem Kollegen leicht auf den Oberarm.
»Was ist denn das da unten am Fußgelenk?«, fragte der Spurenexperte und kniete sich nieder.
Nun wurden auch die beiden anderen auf etwas aufmerksam, das sie bislang noch nicht beachtet hatten. Durch die Umlagerung des Leichnams war die Jogginghose ein wenig nach oben gerutscht und hatte einen Kabelbinder zum Vorschein gebracht, der über dem linken Sprunggelenk des Mordopfers angebracht war.
Mertel hob das Bein ein wenig an und begutachtete den baumelnden Kofferanhänger. ›Ich bin der HERR über Leben und Tod und werde euch strafen für eure Missetaten‹, stand da in Maschinenschrift zu lesen.
»Ach, du dickes Ei«, stöhnte Dr. Schönthaler. »Ein religiöser Eiferer. Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Oh je«, stimmte Tannenberg in das Klagelied mit ein. Kopfschüttelnd schöpfte er ein paar Mal tief Luft. Dann wandte er sich an den Kriminaltechniker: »Habt ihr inzwischen irgendetwas gefunden, das Aufschluss über die Identität des Toten geben könnte, seine Sporttasche oder so was?«
»Nein, aber draußen steht noch der Lehrer, der dabei war, als ihn einer seiner Schüler entdeckte. Vielleicht kennt er ihn ja zufällig. Die Schule, an der er unterrichtet, ist nur einen Steinwurf von hier entfernt.«
»Dann hol ihn bitte mal her.«
Kaum eine halbe Minute später betrachtete Kevins Klassenleiter mit versteinertem Gesicht den toten Mann. Mit gebrochener Stimme identifizierte er ihn als einen langjährigen Kollegen. Bei dem Ermordeten handelte es sich demnach um den 68-jährigen Realschullehrer Ludwig Altherr. Er wohnte quasi um die Ecke, allerdings alleine. Dieser Umstand war offensichtlich auch die Erklärung dafür, weshalb bislang noch keine Vermisstenmeldung bei der Polizei eingegangen war.
»Ludwig war ein leidenschaftlicher Sportler«, sagte sein ehemaliger Lehrerkollege, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. »Er hat jedes Jahr das Sportabzeichen abgelegt. Möglicherweise hat er gestern dafür trainiert, denn soviel ich weiß, ist der Weitsprung eine der zu absolvierenden Disziplinen.«
»Sagen Sie mal, wenn ich mich richtig erinnere, haben mir meine Mitarbeiter vorhin erzählt, dass einer Ihrer Schüler der Erste war, der in die Grube gesprungen ist. Stimmt das?«
»Ja, das ist richtig.«
»War die Sprunggrube, als Sie heute Morgen hier eintrafen, bereits eingeebnet oder haben ihre Schüler das gemacht?«
»Nein, das war bereits so, als wir hier ankamen«, erklärte der Lehrer. Er strich sich über seinen grau melierten Schnurrbart und kniff die Augenbrauen zusammen.
»Sind Sie sich da ganz sicher?«
Kevins Klassenleiter nickte. »Ja, das bin ich. Und zwar deshalb, weil ich mich darüber wunderte.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber andererseits hab ich mir auch nichts Besonderes dabei gedacht, muss ich ehrlich zugeben.« Er zeigte mit dem Finger auf den Leichnam. »Das da konnte ja keiner ahnen.«
»Nein, wirklich nicht. Okay, vielen Dank. Bitte geben Sie meinen Kollegen noch ihre Personalien. Wir melden uns dann bei Ihnen, wegen des Protokolls.«
»Das hab ich schon getan«, antwortete der Lehrer und verabschiedete sich.
»Unser Heckenschütze ist offensichtlich die Coolness in Person«, sagte der Rechtsmediziner und wies mit der Hand über die Schulter. »Der legt sich irgendwo da hinten auf einem Baum auf die Lauer, wartet geduldig, bis irgendein Sportler hier trainiert, nimmt ihn ins Visier und drückt ab.«
»Vielleicht war der gute Mann gar kein Zufallsopfer«, bemerkte Tannenberg mit Seitenblick auf den Toten. »Schließlich war er Lehrer und das erste Opfer ein Schüler.«
»Du meinst, dieser Irrsinn hat irgendetwas mit dem Thema ›Schule‹ zu tun?«, fragte Mertel.
»Warum denn nicht? Bis jetzt ist dies die einzige Verbindung, die zwischen den beiden Opfern existiert.«
»Und ihre gemeinsame Beziehung zum Sport«, ergänzte Dr. Schönthaler.
»Ja, sicher.«
»Schließlich heißt es nicht umsonst im Volksmund: Sport ist Mord!«
»Du immer mit deinen blöden Sprüchen.«
»Von wegen, mein liebes Wölfchen. Der passt mal wieder haargenau, quasi wie dein schlaffer nackter Hintern auf einen
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