Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
besagten Pressebericht bereits, denn sein Vater hatte ihn damit beim Frühstück geärgert. Doch wie immer, wenn er seinem Widersacher über den Weg lief, brodelte es auch diesmal wieder in seinem Inneren wie in einem Vulkan.
»Warum mussten Sie denn auch diesen blöden Schirm aufspannen? Diese paar Minuten hätten Sie doch wirklich ertragen können.«
»Ich schon, Herr Oberstaatsanwalt, aber der Tote nicht. Wir hatten Angst, dass er sich einen Sonnenbrand holt. Außerdem ist das mit dem Mittelfinger eine billige Fotomontage. So etwas würde ich nie tun.«
Klaus Eberle hatte alle Mühe, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
Während Dr. Hollerbach rot anlief und nach Luft schnappte, bat der Dienststellenleiter die beiden Kampfhähne an einen kleinen Konferenztisch.
»Meine Herren, wir sollten uns nun doch bitte sachlich und konstruktiv mit dieser schrecklichen Mordserie beschäftigen.«
»Die bereits im Ministerium hohe Wellen schlägt«, zischte der Oberstaatsanwalt. »An höchster Stelle ist man ausgesprochen besorgt hinsichtlich des Ansehens der Strafverfolgungsbehörden bei der Bevölkerung.«
»Ach, daher weht mal wieder der Wind«, murmelte Tannenberg vor sich hin.
Dieser Beitrag steigerte Dr. Hollerbachs Zorn noch weiter. Wie ein Florettfechter stach er mit dem Finger auf den Kriminalbeamten ein. »Und daran sind vor allem Sie schuld. Die Herrschaften im Innenministerium bezweifeln ernsthaft, ob Sie und Ihre Leute überhaupt in der Lage sind, diesen gemeingefährlichen Täter zu fassen.«
Unvermittelt legte der Oberstaatsanwalt eine kurze Pause ein, während der er mit dem Finger über den Rand seiner Kaffeetasse strich. Dann fixierte er Tannenberg mit einem stechenden Blick. »Na ja, schon in Bälde werden wir fachkompetente Unterstützung erhalten. Ihnen ist klar, was ich damit zum Ausdruck bringen will, Herr Hauptkommissar?«
Nur zu gut wusste Wolfram Tannenberg, was gemeint war. Aber auch damit hatte er sich inzwischen wohl oder übel arrangiert. Aufgrund der spektakulären Kapitalverbrechen rechnete er geradezu minütlich mit dem Eintreffen irgendwelcher arroganter Ermittler des Bundes- bzw. Landeskriminalamtes. Deshalb schwieg er und blickte demonstrativ gelangweilt aus dem Fenster. Im Geäst einer alten Platane lieferte sich gerade eine Schar Kohlmeisen eine wilde Verfolgungsjagd.
Haben die’s gut, dachte er. Bei denen gibt es garantiert keinen Oberstaatsanwalt und bestimmt auch keine psychopathischen Mörder, die sich auf Bäume setzen und ihre Artgenossen abknallen.
»Verschaffen Sie uns doch bitte einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Ermittlungen«, bat Eberle in freundlichem Ton. Als der Angesprochene nicht umgehend reagierte, fügte er an: »Welches Motiv könnte der Täter haben, Herr Hauptkommissar? Es handelt sich doch um ein und denselben Täter, nicht wahr?«
Tannenberg riss den Kopf zu ihm herum und räusperte sich verlegen. »Ja, ja, das haben die kriminaltechnischen Vergleichsuntersuchungen inzwischen zweifelsfrei geklärt. Aber sein Motiv?« Er stieß Atemluft so fest durch den Mund, dass seine Lippen das Geräusch eines tuckernden Rasenmähermotors erzeugten. »Das ist ein weites Feld«, zitierte er den Schlusssatz aus Fontanes ›Effi Briest‹.
Klaus Eberle warf ihm einen gequälten Blick zu.
Übertreib’s jetzt bloß nicht!, meldete sich seine innere Stimme wie immer unaufgefordert zu Wort. Eberle war dir in der Vergangenheit stets wohlgesonnen und ist es noch immer. Obwohl du es ihm oft nicht leicht gemacht hast. Mit ihm solltest du es dir nicht verscherzen. In Gedanken stimmte er dem Besserwisser in seinem Kopf zu und nahm sich vor, sich fortan weniger provokativ zu verhalten.
»Bislang gibt es Hinweise auf mehrere mögliche Tatmotive«, erklärte Wolfram Tannenberg betont sachlich. Er faltete die Hände so, dass die Daumen ein Kreuz bildeten. »Beide Mordopfer wurden beim Sport getötet und beide standen auf irgendeine Art und Weise in Verbindung zur Institution ›Schule‹. Folglich könnte Rache als Triebfeder des Heckenschützen in Betracht kommen.«
»Rache wofür?«, fragte Eberle. Er schlug die Beine übereinander und umfasste das Knie mit seinen gepflegten Händen.
Der Leiter des K 1 schob die Unterlippe vor und lupfte die Schultern. »Vielleicht hat der Amokschütze schlechte Erfahrungen mit der Schule oder mit einem Sportverein gemacht. Vielleicht existiert in seiner Biografie irgendein Ereignis, das ein Trauma bei ihm verursacht hat.«
Dr.
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