Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
Gewohnheiten seiner Opfer detailliert ausspioniert haben, sonst hätte er seinen Plan wohl kaum so präzise und aus seiner Sicht so überaus erfolgreich durchführen können. Die beiden letzten Toten wurden hier an diesen Orten aufgefunden.«
Wolfram Tannenberg nahm einen dicken Filzstift zur Hand und malte zwei weitere Kreuze in die auf einer Tafel aufgezogene Landkarte. Ziemlich genau in der Mitte eines sich südlich der Entersweilerstraße erstreckenden und von der L 504 und dem Wohngebiet Betzenberg eingerahmten Waldgebietes zeichnete er einen roten Kreis.
»Heute Morgen haben die Kollegen der Polizeischule Enkenbach dieses großflächige Areal durchkämmt und genau hier an dieser markierten Stelle eine stillgelegte Pumpstation entdeckt. Sie dürfte dem Täter in den letzten Tagen als Unterschlupf gedient haben.
Von hier aus konnte er ohne große Mühe zu Fuß die beiden Tatorte ›Sportanlage im Schulzentrum Süd‹ und ›PSV-Sportgelände‹ erreichen. Allerdings werden sich dort wohl kaum noch Spuren sicherstellen lassen, denn dieses kleine Häuschen ist ausgerechnet letzte Nacht in Flammen aufgegangen. Damit können wir wohl auch alle Hoffnungen begraben, DNA-Material des Täters zu finden.«
»Du sagst, dass er zu Fuß unterwegs war. Aber um zu den anderen Tatorten zu gelangen, musste er sicherlich ein Auto benutzen«, gab Sabrina zu bedenken.
»Oder ein Motorrad«, ergänzte Tannenberg. »Vielleicht eine Geländemaschine.« Er schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf. »Obwohl, ich denke, ein Auto fällt weitaus weniger auf als ein Motorrad, und es bietet zudem genügend Platz für den Transport von Waffe, Schlafsack, Lebensmitteln et cetera .«
»Zwischenfrage«, meldete sich Susi Rimmel, die ansonsten ihren Dienst im K 2 verrichtete, per Handzeichen zu Wort: »Wenn ich richtig gerechnet habe, hat der Täter damit innerhalb von 5 Tagen 5 Morde begangen.«
Tannenberg nickte.
»Als alte Sportlerin klingelt es da natürlich bei mir: Nach der fünften Disziplin findet im Zehnkampf bekanntermaßen eine Zäsur statt. Können wir also darauf hoffen, dass der Täter jetzt eine Pause einlegen wird?«
»Hoffen dürfen wir«, antwortete Eva Glück-Mankowski, »aber sicher können wir natürlich nicht sein. Zumal in der Leichtathletik zwischen dem ersten und zweiten Wettkampfabschnitt kaum mehr als zwölf Stunden liegen.«
Die Psychologin führte ihre Hände im spitzen Winkel zusammen und legte die Zeigefingerkuppen für einen Augenblick an die Lippen. Dann öffnete sie ihre Hände wieder und seufzte: »Ich hoffe inständig, dass dieser Turbo-Sniper nicht sofort weitermacht, sondern die anderen Tatorte und Opfer erst noch ausspähen muss. Das würde uns wertvolle Zeit verschaffen.«
»Sagen Sie mal, Tannenberg, wo steckt denn eigentlich der Kollege Zörntlein?«, warf Dr. Hollerbach ein.
»Der wurde überraschend nach Lyon zurückbeordert«, erhielt er postwendend die Antwort.
»Merkwürdig, dass er uns gerade jetzt im Stich lässt«, versetzte der Oberstaatsanwalt mit geschürzten Lippen. »Wo er doch wegen dieses mysteriösen Snipers hier so dringend gebraucht wird.«
»Dort offenbar auch.«
»Apropos ›Sniper‹«, ergriff die Profilerin erneut das Wort. »Ich weiß nicht, inwieweit den Kollegen die sogenannten ›Beltway Sniper Attacks‹ ein Begriff sind, die sich im Frühherbst 2002 in den USA ereignet haben.«
Nach einer thesenartigen Kurzzusammenfassung dieser spektakulären Attentatsserie kam sie zum eigentlichen Kern der Sache: »Dieser Sniper hat an einem einzigen Tag an unterschiedlichen Orten fünf Menschen erschossen, drei davon innerhalb von nur einer Stunde. Und das wohlgemerkt an verschiedenen Plätzen.«
»Fünf Menschen – genau wie bei uns«, bemerkte Susi Rimmel. »Sehen Sie da einen direkten Zusammenhang? Vielleicht in der Art, dass unser Sniper diese Verbrechen nachahmen will, quasi unter Leistungssportaspekten.«
»Neuer Tötungsrekord, oder wie?«, machte sich Tannenberg über den Beitrag seiner Kollegin lustig – und handelte sich damit umgehend einen tadelnden Blick seines unmittelbaren Vorgesetzten ein. »Dann hätte unser Täter aber doch schneller als sein Vorbild sein müssen«, fügte er kleinlaut an.
»Wer von uns weiß denn schon, welches konkrete Ziel sich der Täter gesetzt hat«, konterte Eva. »Vielleicht besteht es ja darin, nicht gefasst zu werden. Das ist dem Beltway-Sniper nämlich nicht gelungen.«
»Ziel: Durchführung perfekter
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