Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
Verbrechen?«
»Warum denn nicht, Wolf?«
Tannenberg brummte nachdenklich. »Dazu würde der Spruch passen, den wir bei Sprengard gefunden haben: ›Perfekter Mord ist Leistungssport‹.«
»Siehst du«, sagte Eva mit emporgezogenen Augenbrauen. »Der perfekte Mord ist definiert als ein Verbrechen, das derart genial geplant ist, dass die Identität des Mörders für immer im Dunkeln bleibt. Darin liegt aber auch sogleich das Paradoxon des perfekten Verbrechens begründet. Denn ein perfekter Mord ist logischerweise nur dann ein perfekter Mord, wenn er als solcher erkannt wurde. Wenn aber jemand diesen als solchen erkennt, ist er eben nicht mehr perfekt.«
»Bitte nicht in akademische Diskurse abschweifen«, bat Eberle.
»Wie unser Täter hat der amerikanische Heckenschütze übrigens den Ermittlern ebenfalls ein religiöses Zitat zugespielt«, wechselte Eva das Thema.
Tannenberg verzog abschätzig den Mund. »In unserem Falle ist es aber nur ein religiöses Zitat, neben mehreren anderen. Das letzte stammt von Nietzsche und das andere …«
»Steht in der ›Möwe Jonathan‹«, fiel ihm Michael Schauß ins Wort. Er kramte in seiner Jacke und zog einen Zettel hervor. »Es stammt aus einem Buch von Richard Bach und trägt den Titel ›Die Möwe Jonathan‹.«
Er legte eine kleine Kunstpause ein, bevor er nach ein paar Sekunden weitersprach: »Das Buch ist reich bebildert und schildert den einsamen Weg einer Möwe, die sich zum Ziel gesetzt hat, sich Flugtechniken anzueignen, die noch keine andere Möwe vor ihr beherrscht hat. Mit anderen Worten: Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der sich zu Höherem berufen fühlt und nach Perfektion strebt. Seite 14 steht das angesprochene Zitat: Wozu das, Jon? Warum in aller Welt?, fragte seine Mutter. Es geht folgendermaßen weiter: Ist es denn wirklich so schwer, wie alle anderen zu sein? Warum überlässt du den Tiefflug nicht den Pelikanen und dem Albatros? Und so weiter und so fort.«
»Wie hast du das denn so schnell rausgekriegt?«, fragte Tannenberg, sichtlich beeindruckt.
»Sabrina hat mich angerufen und mir den Text durchgesagt. Den hab ich dann einfach in eine Internet-Suchmaschine eingegeben.«
»Aber wie passt das denn zusammen: eine friedfertige Möwe und ein brutaler Serienkiller.«
»Meines Wissens sind Möwen aggressive Raubvögel«, wandte Eva ein. »Du hast wohl gerade eine Möwe mit einer Taube verwechselt, nicht wahr, mein lieber Wolf?«
Tannenberg zog es vor zu schweigen.
Glücklicherweise war Michael Schauß noch nicht fertig und legte nach: »Ich habe in einer Zitatensammlung zu diesem Buch noch zwei weitere interessante Textstellen gefunden«, verkündete er. »Womöglich passen sie ebenfalls zu unserem unbekannten Heckenschützen. Jon, also die Möwe Jonathan, sagt an einer Stelle: ›Ich bin nirgends daheim. Ich gehöre zu keinem Schwarm. Ich bin ein Ausgestoßener.‹ Und an einer anderen: ›Wer einmal das Außerordentliche erfahren hat, kann sich nicht mehr an die Normen des Durchschnitts binden.‹«
»Ist das nicht hochinteressant, was der Kollege da entdeckt hat?«, lobte die Kriminalpsychologin. »Ich weiß nicht, ob ihr es schon bemerkt habt, aber wir setzen gerade Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen die Persönlichkeit des Snipers zusammen.«
»Rein hypothetisch«, konnte sich Tannenberg nicht verkneifen. An Schauß adressiert, sagte er: »Kennst du auch schon den Text des Nietzsche-Zitates?«
»Nein.«
»Dann ruf bei Mertel an, der soll ihn dir durchgeben. Drucke bitte alle vier Zitate aus und hänge sie neben die entsprechenden Opfer.«
Schauß nickte, erhob sich, setzte sich an einen der Schreibtische und telefonierte.
Dr. Eva Glück-Mankowski zog dem verdutzten SOKO-Leiter den Edding-Marker aus der Hand und malte das Wort ›Täterprofil‹ auf einen leeren Flipchartbogen. Darunter schrieb sie:
- männlich
- sportlich, Alter 25-50 Jahre
- Schuhgröße: 43-45
- Körpergröße: ca. 1,80 bis 1,90
- Einzeltäter/-gänger
- unverheiratet, keine Kinder
- intelligent, kreativ, diszipliniert
- ausgeprägte Gefühlskälte
- sucht Grenzerfahrungen
- Opferauswahl willkürlich
- Sport als Hintergrundfolie
- Ausgestoßener?
- Größenwahn?
- ausgebildeter Scharfschütze
- benutzt Spezialwaffe
»Wer
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