Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
bildet Scharfschützen aus?«, fragte der Polizeipräsident in die Runde.
»GSG 9, SEK, Bundespolizei, Spezialeinheiten von NATO und Bundeswehr, Geheimdienste et cetera«, gab Tannenberg wie auswendig gelernt zurück.
»Also haben wir es möglicherweise mit einem auf Staatskosten ausgebildeten Profikiller zu tun, der Tontaubenschießen auf Menschen veranstaltet.«
»Ja, danach sieht es zurzeit leider aus.«
Betretenes Schweigen legte sich wie ein schwarzes Tuch über die Anwesenden.
Eva brach die Stille. »Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu einem relativ neuen analytischen Verfahren, dem ›Geographic-Profiling‹. Mit dieser Methode wird versucht, das Lebenszentrum des Täters zu lokalisieren und aus den Orten der Anschläge heraus ein Tatmuster zu entwickeln. Damit ist es schon des Öfteren gelungen, die Schlinge um einen Serienmörder enger zu ziehen und ihn schließlich zu fassen. Bei über 90 Prozent dieser Straftaten befinden sich die Tatorte in einem Umkreis von weniger als 30 Kilometer um den Wohnort des Täters.« Sie brach ab und ließ ihren Blick über die gebannt lauschenden Kriminalbeamten schweifen. Dann fuhr sie fort:
»Ausgangspunkt des Geoprofiling-Verfahrens ist die These, dass Serientäter ähnlich agieren wie Raubtiere bei der Jagd. Im Mittelpunkt ihres verbrecherischen Handelns steht der Wohnort, quasi der ›sichere Bau‹ des Täters. Hier kennt er sich aus, fühlt sich sicher und geborgen. Um diesen ›Bau‹ herum existiert eine Pufferzone, ein Ring von wenigen Kilometern Durchmesser. Die Tatorte liegen fast immer außerhalb dieser Sicherheitszone.« Eva stützte die Arme auf den Tisch.
»Dort werden die Tatorte nach bestimmten Kriterien ausgewählt: Nach Gelegenheiten, wo der Täter ungestört töten kann, nach Fluchtmöglichkeiten und so weiter. Wenn ein Heckenschütze sich zum Beispiel im Verlauf seiner Attentate immer weiter von den ersten Tatorten entfernt, ist dies ein Indiz für ein gesteigertes Sicherheitsgefühl, das ihn dazu bringt, das bekannte Terrain zu verlassen.«
Wie der Taktstock eines Dirigenten stach Evas Finger auf die interessierte Zuhörerschar ein. »Und genau das ist die Chance zur Ergreifung des Täters, denn es hat sich gezeigt, dass dieses, nennen wir es einmal ›überhebliches‹, Verhalten dazu führt, dass er vermehrt Fehler begeht.«
»Die Tatorte Rockenhausen und Merzalben würden deine Hypothese unterstützen«, meinte Tannenberg, wobei man ihm nicht anmerkte, ob er auch tatsächlich bereit war, diesen Spekulationen Glauben zu schenken. Er stellte sich vor die aufgezogene Landkarte und zeigte auf das Zentrum der Pfalz. »Danach wäre sein Lebensmittelpunkt in Kaiserslautern zu vermuten.«
»Diese Schlussfolgerung liegt durchaus nahe«, bestätigte die Profilerin. »Zur Erhärtung dieser Hypothese müssen wir selbstverständlich erst noch die weiteren Ermittlungsergebnisse abwarten.«
»Aber das ist doch schon mal was«, freute sich Dr. Hollerbach. »Nun haben wir endlich eine Basis, von der aus …«
»Ach, du Scheiße«, stieß Tannenberg plötzlich hinter Evas Rücken aus. Er hatte die bisherigen Tatorte mit mehreren roten Linealstrichen verbunden. »Das gibt’s doch gar nicht.«
»Was denn? Geh doch bitte mal zur Seite«, rief Sabrina.
Wolfram Tannenberg kam der Aufforderung nach. Mit angewinkeltem Arm fuhr er die aufgezeichneten Linien entlang. »Der Schnittpunkt der miteinander verbundenen Tatorte liegt haargenau in dem abgebrannten Pumpenhäuschen.«
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Das kann kein Zufall sein«, behauptete Kriminaldirektor Eberle.
»Nein, sicherlich nicht«, stimmte Tannenberg zu. »Aus diesem plakativen Hinweis ergibt sich eine zentrale Frage: Warum hat der Täter seine Anschlagserie ausgerechnet in die Pfalz verlegt?«
»Sie haben eben doch selbst die Antwort gegeben, Kollege Tannenberg«, sagte Eberle. »Die Topologie dieser Verbrechen lässt vermuten, dass Kaiserslautern das Lebenszentrum des Täters ist. Eine logische Schlussfolgerung, die exakt zu dem passt, was uns Frau Dr. Glück-Mankowski über ›Geographic-Profiling‹ eröffnet hat, nicht wahr?«
Eva nickte.
»Bislang handelt es sich aber immer noch um eine Hypothese. Mein Gefühl sagt mir jedoch, dass da noch mehr ist.«
»Es geht hier nicht um Ihre Gefühle, mein lieber Tannenberg, sondern um begründete Vermutungen und Fakten«, schnauzte ihn der Oberstaatsanwalt von der Seite her an. »Meines Erachtens
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