Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
Backen auf und stieß die Luft prustend aus. »Ich und eifersüchtig – auf diesen Lackaffen? Quatsch! Aber was soll ich denn schon von einem Dauersmiler halten, der ›Zorn‹ in seinem Namen trägt. Ich sage nur: Nomen est Omen!«
Dr. Schönthaler ging zwei Schritte auf seinen besten Freund zu. »Wolf, hast du eigentlich gewusst, dass das Zorro-Schwarz außer für Tod und Trauer ebenso für Sünde, Teufel und Weltverachtung steht?«
Auch diese neuerliche Provokation drang nicht in Tannenbergs Bewusstsein vor. Kopfschüttelnd starrte er auf einen etwa 40-jährigen, mit einem dunkelblauen Trainingsanzug und hellen Joggingschuhen bekleideten Mann. Ähnlich wie bei einer gymnastischen Brücke waren dessen Arme und Beine weit nach hinten überstreckt. Die Hände und Füße des Toten berührten den Boden. Der Mörder hatte sein Opfer so arrangiert, dass der circa 1,90 m große, schlanke Männerkörper wie eine austarierte Waage über dem rot-weiß gestreiften Metallrohr hing.
»Hochsprung – die vierte Disziplin des Zehnkampfs«, murmelte Tannenberg. »Das ist ja der reinste Horrortrip.«
»Ganz schön kreativ unser Sniper, das muss man ihm schon lassen. Wobei ich den Sportsfreund hier nicht im Fosbury-Flop hätte springen lassen«, gab Dr. Schönthaler eine weitere Kostprobe seines berühmt-berüchtigten Pathologenhumors zum Besten. »Die alte Straddle-Technik hätte weit besser gepasst, findest du nicht auch, Wolf?«
Kommentarlos begab sich sein Freund auf die andere Seite der Schranke und inspizierte das Einschussloch auf der Brust des Toten. »Gleiche Tatausführung wie bei den anderen drei Attentaten: Tod durch präzisen Herzschuss.«
»Und schon wieder so ein komischer Spruch am Fußgelenk«, verkündete Mertel. Er reichte seinem Kollegen einen Kofferanhänger, der diesmal allerdings etwas größer war als die beiden vorherigen.
»Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde«, las Tannenberg vor.
»Also sprach Zarathustra«, fiel ihm der Rechtsmediziner ins Wort.
Tannenberg war sprachlos und blickte seinen Freund verdutzt an.
»Glotz nicht so blöd, lies einfach weiter«, blaffte sein Gegenüber. »Sonst merkt hier doch jeder, dass dein Gnaden-Abitur mit dem 3,8-Notenschnitt vollkommen berechtigt war. Du ungebildeter Banause. Los, lies weiter!«
Der Kriminalbeamte befolgte brav die Anweisung: »Also sprach Zarathustra: Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich ein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze. Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können. Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Friedrich Nietzsche.«
Dr. Schönthaler lachte auf: »Dass dieser Irre noch genügend Chaos in sich hat, das kann man nun wahrlich behaupten.«
»Hat die Frau, die ihn gefunden hat, irgendetwas Wichtiges beobachtet?«, fragte der Leiter des K 1 seinen Kollegen Mertel.
»Nein, absolut nichts. Der verfluchte Mistkerl hat hier irgendwo diesem ahnungslosen Jogger aufgelauert, ihn aus dem Hinterhalt abgeknallt und ist danach offenbar spurlos verschwunden. Wobei natürlich erst noch …«
»Diese feige Drecksau«, schimpfte Tannenberg und riss von einem tief herabhängenden Ast ein paar Blätter ab. Bebend vor Zorn knüllte er das bunte Herbstlaub zusammen und schleuderte es in Richtung eines Brennnesselgebüschs.
»Wer ist denn der Tote?«, fragte Sabrina Schauß.
»Ein Apotheker und Gemeinderat, der hier in Rockenhausen wohnt und in Kirchheimbolanden eine Apotheke besitzt. Seine Frau war vorhin da. Sie ist zusammengebrochen und befindet sich in ärztlicher Behandlung.« Mit betretener Miene blickte der Kriminaltechniker auf den männlichen Leichnam. »Er ist Vater von drei kleinen Kindern.«
Sabrina kämpfte mit den Tränen. Heftig atmend lehnte sie sich an einen Baum. »Das ist alles so furchtbar. Wie können wir diesen, diesen …« Sie fand den gesuchten Begriff nicht und bediente sich eines Schimpfwortes, das ihr zuvor noch nie über die Lippen gekommen war: »Scheißkerl nur fassen, bevor er noch weitere Morde begeht?«
»Kollegen – die Zentrale für euch«, rief einer der Streifenpolizisten von der Absperrung her. »Dieser Sniper hat anscheinend schon wieder zugeschlagen.«
Nach einer Schrecksekunde spurteten die Ermittler zum Einsatzfahrzeug ihres
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