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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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gehört hast?«, fragte Ellen.
    »Bei dem letzten Level war ich etwas unsicher.« Der Erpresser zuckte mit den Schultern. »Die Akkus, weißt du, die sind der Schwachpunkt. Ansonsten ist es sehr komfortabel, per Handy rund um die Uhr bei dir zu sein. Aber kommen wir endlich zu angenehmeren Dingen. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir einen Wein zusammen trinken. Ich finde, das sollten wir jetzt tun.«
    Ellen hatte die Kameras nicht vergessen. Die Objektive starrten sie an wie böse Augen. »Ich lasse mich nicht von dir zum Deppen machen, während du alles ins Internet überträgst.«
    »Ich übertrage nichts ins Internet.«
    »Und wozu sind die Kameras dann da? Für dein Familienalbum?«
    »Sie sind meine zweite Lebensversicherung. Die Handschellen bewahren mich davor, dass du mich jetzt überwältigst. Die Kameras bewahren mich davor, dass du das in Zukunft tust. Ich kann enge Zellen nicht leiden.«
    »Ich dachte, du hinterlässt keine Spuren.«
    »Tue ich auch nicht. Trotzdem: Nobody is perfect . Du bist eine hervorragende Polizistin. Vielleicht findest du ja doch etwas, wenn unser Treffen vorbei ist. Und dann machst du Jagd auf mich. Das willst du doch, oder? Mich erledigen. Deshalb solltest du eins wissen: Für den Fall, dass du mich wider Erwarten fassen solltest, werden diese Bilder im Internet auftauchen. Dein Sex auf Koks, dein benebelter Sex mit Pablo, deine Chats als Fesselfee, und nicht zu vergessen, deine beliebten Fesselspielchen.« Der Erpresser deutete auf die Kameras. »Ein ganz aktuelles haben wir in bester HD-Video-Qualität. Ich bin sicher, dass Direktor Brahe und Polizeipräsident Kronen diese Bilder höchst faszinierend finden werden – wenn sie die zu sehen bekommen. Und das liegt ganz bei dir. Ich lege keinen Wert darauf, sie anderen zu zeigen.«
    »Diese Bilder sind meine Privatsache.«
    »Selbstverständlich. Millionen von Menschen werden sich diese Bilder ansehen, ganz privat natürlich, alle deine Kollegen eingeschlossen.«
    »Wie lange willst du dieses Spiel treiben?«
    »Das Internet vergisst nie. Ich bin gespannt, wie du mit diesem Zwiespalt umgehst. Du willst mich unbedingt fassen – und auf keinen Fall darfst du zulassen, dass man mich fasst.«
    »Warum ich?«
    »Ein Spiel macht umso mehr Spaß, je besser der Gegner ist.«
    »Mir macht so was keinen Spaß. Kannst du nicht normale Spiele spielen, wie andere Menschen auch?«
    Der Maskierte machte eine Handbewegung, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte. »Ich habe Hunderte von Spielen gespielt. Was hat man am Ende davon? Eine Gratulation am Bildschirm. Manchmal ein virtuelles Feuerwerk. Das sind alles nur langweilige Gimmicks. Und wenn man verliert, bekommt man ein neues Leben oder fängt noch mal von vorne an. Wo ist da der Nervenkitzel? Wo ist das Risiko? Und wo sind die wirklichen Gegner? Alles nur virtuell. Das ist keine Herausforderung für mich. Ich will einen echten Gegner. Jemanden, der kämpft, weil er etwas zu verlieren hat. Ich will die ultimative Herausforderung – und dann will ich gewinnen. Und alle Leute sollen es sehen. Ich will nicht in einer belanglosen Tabelle mit leblosen Punktzahlen verewigt werden. Ich will Stadtgespräch sein. Man soll in den Nachrichten über mich sprechen – auf der ganzen Welt.«
    »Und für all das brauchst du mich?«
    »Du repräsentierst den größten Gegner, den man haben kann: die Polizei mit all ihren Möglichkeiten, den Staat mit seiner ganzen Macht. Ich habe ihn angegriffen – vor den Augen der ganzen Welt. Und ich habe gewonnen.« Mit einem Mal veränderte sich seine Stimme. Hatte er gerade gesprochen wie bei einem Vortrag, klang er jetzt irgendwie echter, persönlicher. »Aber das Allerbeste ist: Ich habe dich als Preis. Die schöne, wilde, unbesiegbare Kriminalhauptkommissarin Ellen Faber hat sich für mich nackt an ein Bett gefesselt. Es gäbe sehr viele Männer, die liebend gerne mit mir tauschen würden – aber nur ich bin hier mit dir.«
    Bei diesen Worten strich der Erpresser wieder mit seiner behandschuhten Hand über ihren Arm und dann auch ihr Bein entlang. Ellen überlegte, ob sie es wegziehen sollte. Aber es gab Schlimmeres als diese Berührungen. Er hatte sie bisher nicht unsittlich berührt, obwohl das sehr einfach wäre. Pablo hätte es wahrscheinlich längst getan. Trotzdem, dieser Mann war und blieb ein Verbrecher. Sie wusste immer noch zu wenig.
    »Und wenn ich im letzten Level deine Bedingungen erfüllt hätte? Was hättest du dann getan?«, fragte sie

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