Zehntausend Augen
hohlen Hand warf er sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er musste unbedingt seinen Blutdruck herunterbringen. So wie gerade durfte sich ein Polizeipräsident in der Öffentlichkeit nicht vorführen lassen. Was sollten die Leute von ihm denken?
Hoffentlich war Ellen Faber schon in der Zentrale. Nicht auszudenken, wenn sie zu spät kam. Kronen stellte sich die Bundeskanzlerin vor einem Monitor im Kanzleramt vor, wie sie hoffte, dass es keinen Anschlag geben würde. Der gute Ruf der Stadt stand auf dem Spiel. Nein, der gute Ruf Deutschlands. Und wenn etwas schiefging, würde sie ihm dafür die Schuld geben, weil er zu lange gezögert hatte. Kronen ging wieder auf den Gang und lugte durch die angelehnte Tür in die Zentrale. Die Zahlen auf dem Monitor näherten sich der Zwanzig. Daudert telefonierte hektisch, aber weil viele redeten, konnte Kronen nichts verstehen.
Da näherten sich schnelle Schritte. Ellen Faber kam angelaufen. Hinter ihr folgten die uniformierten Beamten.
»Sie müssen mit dem Erpresser reden. Schnell!«
»Was ist los? Warum …?« Ellen Faber war noch etwas außer Atem.
»Keine Zeit für Erklärungen. Der Erpresser will Sie sehen. Gehen Sie rein! Machen Sie schon. Über alles andere reden wir später.«
Ohne abzuwarten, schob Kronen Kommissarin Faber durch die Tür in die Zentrale. Er selbst zog sich sofort wieder zurück und beobachtete aus sicherer Entfernung.
Ellen hatte eben noch in der Zelle geschlafen, irgendwie im Halbschlaf gedöst, weil sie fast die ganze Nacht gegrübelt hatte. Und nun stand sie hier, ohne jegliche Erklärung. Auf dem Monitor liefen Zahlen gegen null.
Der Erpresser hat Kronen unter Druck gesetzt, und jetzt braucht Kronen mich .
Da meldete sich der Erpresser auch schon: »Frau Faber, wie schön, Sie wiederzusehen. Ich habe Sie vermisst.«
»Ich Sie nicht.« Ellen sah sich um. In einer Ecke stand Daudert mit verschlossenem Gesicht. Khalid stand wie immer hinter seinem Rechner. Sie nickte ihm zu.
»So kurz angebunden? Nun ja, ich kann verstehen, dass eine Nacht in einer Zelle ungemütlich ist.«
»Da war ich wegen Ihnen«, sagte Ellen.
»Wenn Ihre Kollegen die Spuren gründlicher untersucht hätten, wären Sie schneller draußen gewesen.«
»Sie haben uns eine Falle gestellt.«
Ein kurzes künstliches Lachen drang aus den Lautsprechern. »Was wäre das Leben ohne Herausforderungen?«
Der Erpresser hatte wirklich eine einmalige Gabe, jemanden auf die Palme zu bringen. Ellen spürte ihren Blutdruck schon wieder steigen. »Was wollen Sie heute?«
»Das nächste Level spielen.«
»Worauf warten Sie noch. Fangen Sie an.«
»So eilig? Wir sollten das Spiel genießen.«
»Ich genieße hier nichts.«
»Schade. Aber ich möchte es genießen. Deshalb denken Sie an unsere Regeln, gegen die Sie gerade verstoßen. Ihr Polizeipräsident möchte bestimmt nicht, dass ein Unglück geschieht. Und gönnen Sie sich einen Moment Pause, machen Sie sich frisch. Sie sehen abgespannt aus, und gegen einen schwachen Gegner zu spielen, ist langweilig. Wir sehen uns in zwei Stunden.«
Die Verbindung brach ab. Ellen stand in der Mitte des Raums. Sie atmete schwer und schloss die Augen. In Gedanken hörte sie wieder den Satz von Marina Wirtz: Jedes neue Level wird schwerer.
36
Sina kam auf Ellen zu und nahm sie kurz in den Arm. »Schön, dass du wieder da bist. Du hast uns sehr geholfen.«
Ellen schob einen Stuhl beiseite und setzte sich auf den Tisch. »Ich frage mich, warum ich mir das antue. Warum lasse ich das nicht andere machen?«
Sina setzte sich neben Ellen. »Du tust es für die Menschen da draußen. Und kein anderer kann diesen Job so gut wie du.«
»Danke für die netten Worte, Sina, aber es liegt wohl eher daran, dass der Erpresser unbedingt mit mir reden will und mit niemand anderem. Weiß der Teufel, warum. Vielleicht, weil er so leichtes Spiel mit mir hat? Er braucht nur drei Sätze zu sagen, und er hat mich auf hundertachtzig.«
»Nicht nur dich.« Sina warf einen vielsagenden Blick auf Kronen, der sich ihrem Tisch näherte. Er hatte sein Jackett ausgezogen. Unter seinen Achseln waren deutlich Schweißflecken zu sehen. Er wirkte nicht mehr so souverän wie sonst, wenn er auftrat.
»Gut, dass Sie so schnell gekommen sind, Frau Faber«, sagte Kronen.
»Ist meine Untersuchungshaft damit beendet, oder darf ich mich gleich wieder in meine Zelle zurückziehen?«
»Wir brauchen Sie hier in der Zentrale.«
»Das beantwortet meine Frage nicht. Sie haben mich mit
Weitere Kostenlose Bücher