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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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durchsichtige Schilde. Es waren noch nicht alle im Raum, da sprühte aus mehreren Richtungen gleichzeitig Schaum auf die Männer. Die Schilde und Visiere der Helme waren in Sekunden so beschmiert, dass keiner der Behelmten mehr etwas sehen konnte. Einer versuchte auszuweichen und rutschte auf dem glatt gewordenen Boden aus. Stimmen brüllten wild durcheinander. Jemand begann zu schießen. Ein anderer tat es ihm nach. Dann noch einer. Die Schaufensterpuppe wankte unter den Geschossen und fiel schließlich um. Dann wurde es still.
    Die ganze Aktion hatte höchstens dreißig Sekunden gedauert, aber niemand in der Zentrale wagte auch nur ein Wort zu sagen.
    Auf dem Bildschirm arbeitete sich ein Mann nach vorne durch, Stefan Daudert. Er selbst und sein Visier waren mit Schaum bedeckt. Daudert wischte darüber, verschmierte den Schaum aber nur. Entnervt zog er den Helm ab. »So eine Scheiße!«, brüllte Daudert in der Aufnahme laut. »So eine verdammte Scheiße.«
    Die Männer stapften durch den Schaum und verteilten sich im Raum. Jetzt nahmen alle ihre Helme ab.
    »Hier ist niemand«, sagte Daudert, »nur diese verdammte Puppe.« Er trat gegen die auf dem Boden liegende, durchlöcherte Schaufensterpuppe. Schaum flog auf. Ein Arm brach in Höhe des Ellenbogens ab.
    Einer der Männer sah sich die Puppe genauer an. »Die sieht aus wie ein Sieb. Wenn das ein Mensch gewesen wäre … Das sollte nicht an die große Glocke gehängt werden.«
    Daudert zeigte auf den Mann. »Du und Gregor. Schnappt euch die Puppe und schafft sie hier raus. Aber lasst euch von niemandem sehen.«
    Es wurde noch gezeigt, wie zwei Männer die Puppe durch den Schaum nach draußen schafften, aber das interessierte Kronen nicht mehr. Er sah Daudert an, der steif dastand und den Eindruck erweckte, als ob er sich gleich übergeben würde.
    »Lasst euch von niemandem sehen«, wiederholte Kronen Dauderts Satz aus dem Film. »Jetzt sehen Millionen zu. Was sind Sie für ein Idiot, Daudert. Ich fasse es nicht.«
    Daudert sagte keinen Ton.
    »Abschalten!«, brüllte Kronen in die Zentrale. »Es reicht. Ich habe genug gesehen. Wenn ich mir die nächsten Schlagzeilen vorstelle … ›Polizei erschießt Schaufensterpuppe‹.« Er stellte sich direkt vor Stefan.
    »Wissen Sie, was das ist, Daudert? Das ist keine Katastrophe, das ist der Super-GAU. Ihre Leute schießen um sich wie im Wilden Westen – auf eine Schaufensterpuppe. War die etwa bewaffnet, Daudert? Nein, war sie nicht. Das ist die Höhe! Und dann schaffen Sie die Puppe auch noch weg. Sie vernichten Beweismaterial. Das ist mehr als die Höhe! Aber nein, damit sind Sie immer noch nicht fertig. Sie lassen sich nicht nur dabei erwischen. Sie lassen sich sogar filmen dabei! Das ist der Gipfel der Dummheit. Und so einer will die Leitung des LKA 632 übernehmen? Sie können froh sein, wenn Sie ab morgen noch Parksünder aufschreiben dürfen.«
    Stefan stand stocksteif da und ließ das Donnerwetter über sich ergehen. Was hätte er auch sagen sollen?
    Da sagte Khalid mit seiner ruhigen, aber bestimmten Art: »Herr Polizeipräsident, der Erpresser hat gemailt, dass er sich bald melden wird.«
    Kronen sah Khalid irritiert an.
    »Es kann jeden Moment so weit sein«, meinte Khalid. »Wir können es uns nicht leisten, nicht mit ihm zu sprechen.«
    Kronen benötigte einen Moment, um sich auf die neue Situation einzustellen. Wer sollte die Kommunikation mit dem Erpresser führen? Ellen Faber saß in ihrer Zelle, und Stefan Daudert, den er vor Kurzem dafür bestimmt hatte, hatte sich gerade selbst disqualifiziert.
    »Sie könnten die Gelegenheit zu einer kleinen Ansprache nutzen«, schlug Khalid vor. »Wir werden einige Millionen Zuschauer haben. Eine Erklärung zu dem, was wir gerade gesehen haben, wäre sicher nicht schlecht.«
    Kronen sah sich plötzlich im Mittelpunkt stehen. Alle blickten ihn erwartungsvoll an. Sonst war das normal, aber da war er darauf vorbereitet. Jetzt musste er improvisieren. »Ja, natürlich. Sie haben recht.«
    Kronen räusperte sich und holte Luft. Doch bevor er ein Wort gesagt hatte, wurde er schon wieder gestört. Sina Ahuus kam in die Zentrale gestürmt.
    »Herr Polizeipräsident, ich habe eine wichtige Entdeckung gemacht.« Dabei wedelte sie mit einem Laborbericht.
    Kronen sah sich um. »Nicht jetzt, Sie stören.«
    »Es ist sehr wichtig.«
    Kronen knurrte nur: »Fassen Sie sich kurz.«
    »Die Fingerabdrücke auf den Handys sind nicht von Ellen Faber. Sie ist unschuldig.« Sina Ahuus

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