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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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wurde ihm schwindelig. Er versuchte, sich unauffällig an einem Tisch festzuhalten. Die Bundesregierung und vielleicht auch die Kanzlerin sahen ihm zu.
    »Wo ist eigentlich Frau Faber?«, fragte die Stimme.
    »Sie ist nicht hier.«
    »Das sehe ich. Aber warum ist sie nicht hier? Gibt es dafür noch einen Grund? Meinen kleinen Scherz mit dem Fingerabdruck haben Sie ja inzwischen aufgedeckt.«
    Kronen war schon wieder knapp davor zu explodieren. Kaum hatte er sich wenigstens etwas unter Kontrolle, riss die nächste Provokation des Erpressers ein Loch in den Damm. Den »Scherz mit dem Fingerabdruck« fand Kronen überhaupt nicht witzig. Erst recht nicht, wenn die Kanzlerin sich fragte, was damit gemeint war, und Erkundigungen einzog.
    »Wir lassen uns nicht provozieren«, sagte Kronen.
    »Sie sehen aber anders aus«, kam es aus dem Monitor höchst freundlich zurück.
    Es war erstaunlich, welche Kraft in so einem einfachen Satz lag. Kronen hatte das Gefühl, schon wieder einen Tiefschlag einstecken zu müssen.
    »Da es keinen Grund mehr gibt, Frau Faber in eine Zelle zu sperren, möchte ich wieder mit ihr sprechen.«
    Kronen sah auf den Monitor, der die Internetübertragung zeigte, also im Moment ihn, wie ihn die Zuschauer sahen. Es war ein anderes Bild, als es sonst das Fernsehen übertrug. Niemand hatte seine Stirn gepudert, die jetzt unangenehm glänzte.
    »Nehmen Sie es nicht persönlich, Herr Polizeipräsident«, machte die Stimme weiter, »aber mit Kriminalhauptkommissarin Faber macht das Verhandeln einfach mehr Spaß.«
    Kronen war jeglicher Sinn für Humor abhandengekommen. Seine Halsschlagader konnte man sogar auf dem Monitor erkennen. »Wir lassen uns nicht vorschreiben, wer verhandelt.« Es sollte selbstbewusst klingen, aber es klang eher verzweifelt, das konnte Kronen selbst hören.
    »Oh, jetzt beeindrucken Sie mich sehr.« Das eingespielte Lachen erklang wieder.
    Aber so leicht gab sich Kronen nicht geschlagen. »Stellen Sie Ihre Forderungen.«
    »Ich fordere, mit Frau Faber zu sprechen.«
    »Abgelehnt. Was wollen Sie?« Kronen straffte sich. Wenn er so redete, ging es ihm sofort besser.
    »So standhaft? Das ist eines Polizeipräsidenten würdig. Dann wollen wir mal testen, wie standhaft Sie sind, wenn Sie wissen, dass Ihre Karriere nur noch dreihundert Sekunden dauert. Frau Faber kennt die Regeln ja inzwischen, aber ich bin sicher, Sie werden sie auch sehr schnell verstehen.«
    Die Verbindung brach ab. Auf einem Monitor erschien eine Zahl: 300.
    »Was soll das?«, fragte Kronen in den Raum.
    Niemand gab einen Ton von sich. Schließlich sagte Khalid: »Das heißt, dass Sie noch dreihundert Sekunden Zeit haben.«
    »Zeit wofür?« Eigentlich war Kronen die Antwort klar. Allerdings war es etwas vollkommen anderes, vor einem Monitor zu sitzen und zuzuschauen oder plötzlich selbst Entscheidungen treffen zu müssen – und das vor Millionen Zuschauern. Zusätzlich rumorten die Worte des Erpressers in Kronen, »dass Ihre Karriere nur noch dreihundert Sekunden dauert«. Was sollte das bedeuten?
    Weil von Kronen nichts kam, sagte Khalid: »Die Forderung des Erpressers erfüllen, heißt, Frau Faber holen. Es sind nur noch zweihundertneunzig Sekunden.«
    Kronen kam ins Schwitzen. »Und wenn ich das nicht tue?«
    Auch die Antwort darauf war klar. Dann geht eine Bombe hoch. Kronen sah sich hilflos um. Der enorme Druck hatte seinen Kopf leer geblasen. Und der Druck stieg mit jeder neuen, immer kleiner werdenden Zahl, die auf dem Monitor erschien.
    »Wir haben seine Forderung einmal ignoriert – und dann ist das Parkhaus gegenüber fast in die Luft geflogen. Wollen Sie, dass so etwas wieder passiert?«
    Wollte er das? Natürlich nicht. Aber sollte er jetzt einfach nachgeben? Weich werden? Er als Polizeipräsident? Was gab das für ein Bild ab – vor der Öffentlichkeit und der Bundesregierung? Kronen verfluchte, dass er hier stand. Er verfluchte die Kameras, die auf ihn gerichtet waren.
    Zweihundertachtzig.
    Ich muss etwas tun. Aber was?
    Die Zahlen wurden unerbittlich kleiner. Er sah zur Wand. Dort hing der Stadtplan von Berlin. Er war so vertraut, aber er half ihm nicht. Nichts und niemand half ihm.
    Zweihundertsiebzig.
    »Herr Polizeipräsident!« Khalid trat von einem Bein auf das andere.
    »Verdammt, holen Sie Ellen Faber! Aber schnell.« Kronen lief hinaus auf den Flur. Er stürzte in den nächsten Waschraum und knallte vor Wut die Tür so hart zu, dass fast ein Spiegel von der Wand gefallen wäre. Mit der

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