Zehntausend Augen
Sie haben keine Beweise, weil es nichts zu beweisen gibt. Außer dass ich meine Verantwortung als Polizistin wahrnehme, habe ich nichts mit diesem Fall zu tun.«
Burgsmüller seufzte. »Was meinen Sie, wie oft ich schon solche Unschuldsbeteuerungen gehört habe? Es ist offensichtlich, dass der Erpresser Informationen hat, die niemand außer Ihnen besitzt. Da gehen bei mir die Alarmglocken los. Weiter ist offensichtlich, dass er immer genau über unsere nächsten Schritte Bescheid weiß. Woher, frage ich mich, hat er diese Informationen? Besitzen Sie ein Handy?«
»Natürlich habe ich ein Handy. Wollen Sie mir unterstellen, dass ich den Erpresser informiere? Besorgen Sie sich einen Verbindungsnachweis, dann sehen Sie, wen ich angerufen habe.«
»Den haben wir schon. Wie erwartet ohne Ergebnis. Vielleicht haben Sie ja zwei Handys.«
»Ich habe nur dieses eine.« Ellen zog ihr Handy aus der Hosentasche und knallte es auf den Tisch. Sie hatte sich auch schon gefragt, woher der Erpresser seine Informationen hatte. Andererseits war er es, der den Ablauf bis in Detail hinein bestimmte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendjemanden im LKA gab, der ihm Informationen zuspielte. Dass Burgsmüller ihr so etwas zutraute, ärgerte sie.
Burgsmüller griff nach dem Handy. »Der Akku ist leer«, stellte er fest.
»Ich konnte es bei meiner Schwester nicht aufladen, und in mein Büro bin ich heute ja noch nicht gekommen.«
»Ist der Akku schon lange leer?«
»Seitdem ich gestern ins LKA gekommen bin, habe ich das Handy nicht mehr benutzt. Ich habe keine Ahnung, wann er genau ausgefallen ist.«
»Sie haben oft keine Ahnung.«
»Ich bin halt nicht so schlau wie Sie.«
»Oh, manchmal sind Sie sehr schlau.« Burgsmüller deutete mit dem Zeigefinger in ihr Gesicht. »Gestern, zum Beispiel, da ist Ihnen ganz plötzlich eingefallen, dass der Plan zum Abschalten der Handynetze nicht durchgeführt werden darf.«
»Ja, weil der Erpresser den Zündmechanismus umgekehrt hatte.«
»Woher wussten Sie das?«
»Das habe ich mir nach seinen Antworten gedacht. Und später hat es der Erpresser bestätigt.«
»So, Sie haben sich das gedacht – und daraufhin das verabredete Vorhaben gestoppt, obwohl es der Polizeipräsident persönlich eingeleitet hatte.«
»Ich musste das tun. Die Menschen auf dem Boot waren in Gefahr.«
»Niemand war in Gefahr«, sagte Burgsmüller laut und klopfte dabei leicht auf die Fotos von Hanna und Elias. »Hätten Sie die Handynetze wie geplant abgeschaltet, wären die Leute sicher gewesen. Die Zündung war wie immer auf einen Handyimpuls gepolt. Doch Sie haben die Abschaltung verhindert.«
»Die Umkehrung der Zündung war ein Bluff?« Ellen lehnte sich zurück. Das war tatsächlich eine Überraschung. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte. Der Erpresser hatte sie böse hereingelegt, und jetzt wurde sie schon wieder verdächtigt, ein falsches Spiel zu spielen.
»Das konnte ich nicht ahnen. Alles, was der Erpresser gesagt hat, deutete darauf hin, dass die Bombe hochgeht, wenn wir alle Handys lahmlegen.«
»Wie auch immer, Sie werden verstehen, dass Sie so viel Anlass zu Misstrauen geben, dass Sie ziemlich weit oben auf der Liste verdächtiger Personen stehen. Nicht als Täterin, das ist klar. Aber irgendeine besondere Rolle spielen Sie in diesem Fall. Glauben Sie mir: Ich werde herausfinden, was Sie mit diesem Bomber zu tun haben.«
»Sie werden gar nichts herausfinden, weil es nichts herauszufinden gibt.«
»Sie sollten etwas kooperativer sein.«
»Zu Kooperation gehören zwei. Wenn Sie Beweise gegen mich haben, dann sagen Sie es. Wenn Sie keine haben, dann behandeln Sie mich auch wie eine Kollegin. Sonst können Sie Kooperation vergessen.«
Burgsmüller stand auf, ging zur Spiegelwand und schaute hinein. Ellen sah, wie es in ihm arbeitete. Er war es mit Sicherheit nicht gewohnt, dass ihm jemand so viel Widerstand leistete. Das BKA konnte den Fall an sich ziehen, keine Frage. Aber was nützte ihm das, wenn der Erpresser auf einem Kontakt zu Ellen bestand? Was passierte, wenn man ihm diesen Kontakt verweigerte, hatten sie bereits erfahren. So verrückt es war: Die Forderung des Erpressers war Ellens bestes Druckmittel. Vielleicht sogar ihr einziges.
Burgsmüller kam wieder zu Ellen zurück. »Also gut. Beenden wir das hier. Das ändert aber nichts daran, dass ich die Leitung in diesem Fall habe und Sie tun werden, was ich sage. Habe ich mich klar
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