Zehntausend Augen
in den Arm. Annika standen auch Tränen in den Augen.
»Danke. Du hast ihnen das Leben gerettet.«
Die Kinder veranstalteten ein Wettrennen ins Wohnzimmer, und Hanna hielt Elias lachend am Arm fest, als er auf dem glatten Boden fast ausgerutscht wäre. Ellen schaute ihnen nach. »Etwas Besseres kann man doch nicht tun, als solchen Kindern das Leben zu retten.«
»Trotzdem danke. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn den beiden etwas zugestoßen wäre.« Annika sah aus, als ob sie schon länger geweint hätte. Ihr Make-up war total verschmiert, und ihre Haare hingen wirr.
»Daran denken wir lieber nicht.«
Im Wohnzimmer überboten sich Hanna und Elias in ihren Erzählungen, was sie erlebt hatten. Meistens redeten beide gleichzeitig. Für sie war das ganze Erlebnis ein großes Abenteuer auf dem Schiff gewesen. Mit der Zeit ergab sich für Ellen ein Bild der tatsächlichen Ereignisse. Kaum hatte Ellen ihren BH ausgezogen, war die Besatzung der MS Solar informiert worden, und das Schiff hatte mit Volldampf die nächste Landungsmöglichkeit angesteuert, begleitet von mehreren Hubschraubern. Nach und nach waren Boote der Wasserschutzpolizei dazugestoßen. An Land hatte es von Kranken- und Polizeiwagen gewimmelt, wie die Kinder begeistert erzählten.
»Hanna und Elias haben von der Gefahr nichts mitbekommen«, berichtete Annika leise. »Bevor das Schiff anlegte, war ich schon da. Ich war sofort losgefahren, als im Radio die Meldung kam, dass es der Erpresser dieses Mal auf ein Schiff abgesehen hat. Als die Kinder gesund an Land waren, sind wir sofort nach Hause gefahren. Ich wollte nur noch weg von der Bombe.«
Wie gut, wenn man vor der Gefahr davonlaufen konnte. Ellen selbst durfte es nicht. »Mach doch mal den Fernseher an«, bat sie.
Auf allen Kanälen gab es überall Sondersendungen zu den Ereignissen. Die Umgebung des Schiffs war weiträumig abgesperrt worden, weil die Sprengstoffexperten der Polizei noch bei der Arbeit waren. Die übliche Vorgehensweise mit dem Roboter eignete sich nicht für Einsätze auf einem Schiff. Dort war es ähnlich wie in der Disco zu eng. Da sich für die Kameras am Wannsee nichts Nennenswertes ereignete, wurden in der Sondersendung die wichtigsten Ereignisse für die neu zugeschalteten Zu- schauer wiederholt.
»Das bist ja du, Ellen«, rief Hanna. Sie unterbrach ihr Spiel, rannte zum Fernseher und zeigte auf Ellen, die mitten in der Zentrale des LKA stand.
Ellen wurde bewusst, was gleich passieren würde. Hanna und Elias sollten sie auf keinen Fall nackt im Fernsehen sehen. »Schalte aus, bitte«, sagte sie.
Annika griff nach der Fernbedienung und drückte einen Knopf. Sofort wurde der Fernseher schwarz.
»Schade«, sagte Hanna. »Ich wollte doch Ellen sehen.«
»Ellen ist hier bei uns«, sagte Annika. »Das ist doch viel besser als im Fernsehen. Und jetzt sieh mal nach, was Elias macht.« Den hörte man im Kinderzimmer mit irgendwas rascheln.
»Das war nicht leicht für dich«, sagte Annika.
»Nein. Und wenn ich daran denke, dass ganz Berlin mich so gesehen hat, möchte ich nicht mehr aus dem Haus gehen.«
Ellen dachte an Marinas Rat, morgen keine Zeitung zu lesen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, welche Bilder auf den Titelseiten stehen würden.
Ellen würde morgen keine Zeitung ansehen. Das stand fest.
42
»Zum LKA, bitte.« Ellen setzte sich neben den schwergewichtigen Taxifahrer. Es wurde gerade erst hell. Annika und die Kinder hatten noch geschlafen, als Ellen gegangen war.
»Zum LKA? Das geht nicht. Da ist heute Morgen alles gesperrt.«
»Das kann nicht sein. Sind Sie sicher?«
Der Taxifahrer grunzte. »Es kam schon dreimal im Radio. Meine Kollegen haben es auch per Funk durchgegeben.«
Was war denn da los? Jetzt musste Ellen erst recht hin. Zu blöd, dass ihr Akku gestern den Geist aufgegeben hatte. Den Taxifahrer wollte sie nicht um sein Handy bitten. »Ich muss unbedingt ins LKA. Bringen Sie mich so nah ran wie möglich.«
Der Taxifahrer sah sich seine potenzielle Kundin genauer an. »Sie sind doch die Kommissarin mit dem Tiger auf der Brust, die immer im Fernsehen ist. Und im Internet.« Er sah so intensiv auf Ellens Brust, als wolle er den Tiger durch den Stoff erkennen.
Zuerst wollte Ellen leugnen. Doch vielleicht fuhr der Taxifahrer sie ja zum LKA, wenn er verstand, dass sie die Kommissarin war. »Ja, die bin ich«, sagte sie, »und das ist der Grund, weshalb ich dringend zum LKA muss.«
»Wow, ist ja irre. Wieder die Welt retten, was?
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