Zehntausend Fallen (German Edition)
ich Sie fragen. Das verspreche ich.«
Alfred strahlte. »Wollen Sie noch mehr Artikel haben?«
»Danke«, wehrte Ellen ab. »Das reicht fürs Erste.« Sie zögerte kurz. »Haben Sie auch einen ...?«
»Kopierer?«, erriet Alfred ihre Gedanken. »Ja, sicher. Der ist auch nicht ganz so alt wie der Computer.«
Das stimmte, stellte Ellen fest. Er war nur halb so alt. Immerhin schien Alfred den Kopierer nicht als Konkurrenz zu sehen. Die Kopien waren zwar etwas blass, aber Ellen war sehr zufrieden. Eine Sache musste sie aber doch herausfinden.
»Darf ich noch mal an den Computer?«
Alfred sah sie irritiert an. »Warum? Genügt Ihnen das nicht?«
»Doch. Aber ich möchte Ihnen beweisen, dass Sie wirklich besser sind.«
Diesen Grund ließ Alfred gelten. Ellen nahm eine Zeitung mit, schlug einen beliebigen Artikel auf und tippte ein passendes Suchwort ein. Der Computer fand den Artikel problemlos. Nur die Suchwörter zu dem Artikel über den Selbstmord brachten kein Ergebnis. Es war, als hätte es diesen Artikel nie gegeben.
Alfred hatte sich ein Lob reichlich verdient, fand Ellen. »Wenn ich Sie nicht gehabt hätte, hätte ich diese wichtigen Nachrichten niemals gefunden.«
Alfred sah Ellen dankbar an. Sie wusste, dass sie einen neuen Freund gefunden hatte.
»Kommen Sie bald wieder«, bat Alfred zum Schluss. »Sie dürfen so viel suchen, wie Sie wollen.«
Ellen verließ das Redaktionsgebäude mit den Ergebnissen ihrer Suche in der Hand. Sie war zufrieden mit ihrem Erfolg – einerseits. Andererseits bedauerte sie fast, dass sie mit ihrer Vermutung nicht falsch gelegen hatte. Die Menschen, die sich das Leben genommen hatten, taten ihr leid. Genauso die Angehörigen. Hinter jeder gefundenen Nachricht verbarg sich eine menschliche Tragödie.
Aber neben den Toten gab es etwas, das fast noch beunruhigender war: Da gab es jemanden, der unbedingt verhindern wollte, dass man sich mit diesen Selbstmorden beschäftigte. Und derjenige besaß ganz offensichtlich beträchtliche Mittel.
7
Zwei Minuten, nachdem Ellen das Redaktionsgebäude verlassen hatte, erschienen die ersten Fotos von ihr auf Clark Hasels Rechner. Er sah, dass Ellen klein war, aber ihre ganze Körperhaltung warnte ihn, diese Frau zu unterschätzen. In der Hand hielt sie mehrere Papiere. Die Schrift konnte er nicht lesen, aber nur ein Idiot hätte in den Blättern keine Fotokopien vermutet.
Hasels zoomte Ellens Gesicht auf Bildschirmgröße heran.
Sie macht einen zufriedenen Eindruck. Diese Frau hat bekommen, was sie gewollt hat.
Hasels stieß einen üblen Fluch aus. Er wusste genau, wonach Ellen in den Archivsystemen gesucht hatte. Und er wusste ebenso genau, dass die gesuchten Artikel auf Nimmerwiedersehen aus den Dateien verschwunden waren. Er hatte sie persönlich gelöscht. Der Teufel musste ihr geholfen haben, wenn sie nun die Artikel trotzdem besaß.
So kann das nicht weitergehen.
Hasels griff wieder zum Hörer.
»Was machst du für ein Gesicht, Boris?«, fragte Alexej seinen Kollegen, als der das Handy aus der Hand legte.
»Hasels war dran. Er ist wütend.«
Alexej verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Was will der faule Sack? Sitzt nur in seinem Büro und stänkert herum.«
So wagte Alexej nur zu reden, wenn Hasels weit weg war. Das war meistens der Fall, er hatte Hasels erst zweimal gesehen. Der Kontakt verlief üblicherweise per Telefon und dann auch noch über Bo ris, der als Kopf ihres Zweierteams fungierte. Boris war zwar kleiner als Alexej, aber deutlich intelligenter. Sein Deutsch war akzentfrei, denn er war in Berlin geboren. Boris hatte sogar die mittlere Reife bestanden, wenn auch mit Ach und Krach, was nicht an mangelnder Intelligenz lag. Boris interessierte sich eben mehr für Wrestling als für Vokabeln. Im Grunde war er sogar ziemlich clever, weshalb Hasels ihn eingestellt und ihm sogar einige Weiterbildungskurse spendiert hatte. Der andere Grund war sein Aussehen, das dem eines voluminösen Kühlschranks entsprach. Kein Wunder, dass er in seinem Job bei einem Inkasso-Unternehmen eine ganze Reihe von Erfolgen aufzuweisen hatte. Aber Hasels zahlte besser. Viel besser. Und der Job war kaum anders.
Alexejs Karriere bestand aus einem Job al s Türsteher vor einer Russendisco. Das war nicht besonders schwierig für ihn gewesen, weil er eben auch aussah wie ein Kühlschrank – nur mit zusätzlichem Gefrierteil. Alexej trauerte gelegentlich diesem früheren Job nach. Das Geld war knapper gewesen, aber die Frauen ... Sie
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