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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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dir neue Schwierigkeiten einhandelst?«
    »Ich werde aufpassen.«
    »Das hoffe ich. Bis morgen dann.«
    Ellen bezog ihr Zimmer. Es war äußerst bescheiden, Bett, Schrank, Stuhl und ein Tisch mit einem Fernseher, aber mehr benötigte Ellen auch nicht. Hauptsache sie konnte sich hier zurückziehen, ohne mit Überraschungen rechnen zu müssen. Mit einer Mischung aus Widerwillen und Neugier schaltete Ellen den Fernseher ein.
    Vor wenigen Minuten hatte ein Brennpunkt begonnen, der Moderator begrüßte einen Experten und stellte seine erste Frage: »Wie kommt es, dass die Lebensmittelpreise in wenigen Tagen quasi explodiert sind?«
    Das war Ellen auch schon aufgefallen. Ihre eigenen Erlebnisse waren also keine Ausnahmefälle, wenn es dazu sogar einen Brennpunkt gab. Die folgende Antwort fing Ellens Aufmerksamkeit endgültig ein.
    »Die Märkte befürchten Ernteausfälle in größerem Umfang. Diese Perspektive lässt die Preise steigen.«
    »Wir haben erst Frühjahr«, hakte der Moderator nach. »Die Ernte liegt noch Monate in der Zukunft. Zurzeit sind genug Lebensmittel da.«
    »Das ist korrekt, aber weil jetzt schon abzusehen ist, dass viele Bauern auf ihren Feldern nichts ernten werden, halten die Firmen ihre Vorräte zurück. Je länger sie warten, desto mehr können sie später verdienen. Dadurch wird das Angebot verringert, was sich auf die Preise auswirkt.«
    »Und deshalb steigen die Preise so unglaublich schnell?«
    »Nicht nur deshalb. Die steigenden Preise rufen Hedgefonds auf den Plan, die auf weitere Steigerungen spekulieren. Sie kaufen Optionen zum Beispiel auf Getreide oder mieten direkt ganze Lagerhäuser. Dabei überbieten sie sich gegenseitig, was die Preisspirale weiter antreibt. Dadurch werden die Spekulationen noch interessanter und so weiter. Freies Kapital fließt immer dahin, wo die größten Renditen winken. Auf diese Weise kann sich ein Preis in wenigen Tagen vervielfachen.«
    »Für die Verbraucher ist diese Entwicklung fatal. Ist ein Ende abzusehen?«
    »Leider nicht. Die realen Ernteausfälle werden mit Sicherheit kommen, so viel ist klar. Wo jetzt nichts wächst, ist im Herbst nichts zu ernten. Das kann nicht kurzfristig kompensiert werden und wird uns mindestens bis ins nächste Jahr begleiten.«
    »Ist wenigsten geklärt, was diese Ausfälle verursacht?«
    »Es ist noch zu früh, hierzu etwas zu sagen. Die Untersuchungen laufen noch.«
    Der Exper te fühlte sich sichtlich unwohl bei dieser Aussage, was den Moderator zur weiteren Nachfrage veranlasste: »Also können wir nicht einmal sagen, dass es nächstes Jahr besser werden wird, weil wir die eigentliche Ursache noch nicht kennen?«
    »Bis dahin werden wir die Ursache gefunden haben.«
    Der Moderator wandte sich wieder der Kamera zu. »Das sollten wir hoffen. Wohin diese Entwicklung bereits in wenigen Tagen geführt hat, zeigen Ihnen die folgenden Bilder.«
    Ein Filmbeitrag wurde eingespielt. Er zeigte eine Bäckerei in Berlin-Mitte, die Scheiben waren eingeworfen. Gut ein halbes Dutzend Polizisten versuchten, eine wütende Menge vom Eindringen in die Bäckerei abzuhalten.
    »Ähnliche Szenen spielen sich an zahlreichen Stellen in unserer Stadt ab«, kommentierte eine Stimme aus dem Off.
    Der Ort wechselte. Ein Parkplatz vor einer Aldi-Filiale. Ein Mann schob einen Einkaufswagen auf den Parkplatz. Der Wagen war bis an den Rand beladen mit Mehl und Nudeln. Auf der untersten Ebene lagen Netze mit Kartoffeln. Ein ähnlich beladener Wagen folgte. Dann strömte eine Gruppe Frauen durch die Tür, sie schrien die beiden mit den vollen Wagen an. »Unverschämt. Kaufen alles weg«, waren einige Wortfetzen, die Ellen verstehen konnte. Die Frauen waren allem Anschein nach leer ausgegangen. Ellen malte sich aus, wie die Situation eskalieren würde – und genauso kam es. Die Diskussion wurde heftiger. Ein Mann schubste eine der Frauen weg. Sofort taten sich einige zusammen und fielen über die Männer her. Ein Einkaufswagen kippte um. Mehlbeutel platzen auf, was die Menschen noch wütender machte. Als nach einer gefühlten Ewigkeit ein Polizeiwagen eintraf, war die eine Hälfte der Lebensmittel unbrauchbar und die andere auf unerklärliche Art und Weise verschwunden.
    Am Schluss des Brennpunkts folgte ein Aufruf der Polizei, keine Hamsterkäufe zu tätigen. Es gäbe genug Vorräte. Ellen wusste, dass dieser Aufruf vergeblich war. Die Leute würden sich nicht abhalten lassen, alles Essbare aufzukaufen. Wenn man damit rechnen musste, morgen wesentlich

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