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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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mehr bezahlen zu müssen, kaufte man eben heute das Doppelte oder Dreifache. Das war verständlich, aber für die allgemeine Lage katastrophal. Panik-Käufe führten zwangsläufig zu leeren Regalen, was die folgenden Kunden in ihrer Einschätzung bestätigte, dass es zu wenig gab. Das musste gar nicht mal stimmen, aber es war wie eine Lawine, die, einmal in Gang gesetzt, immer mächtiger wurde. Hier rollte etwas auf Berlin zu , und nicht nur auf Berlin.
    Ellen schaltete ab. Sie hatte genug gesehen, um nicht mehr schlafen zu können.
     
    Am nächsten Morgen wollte Ellen sich ein eigenes Bild verschaffen. Sie schlug den Weg in Richtung Kurfürstendamm ein. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie die ersten vernagelten Schaufenster entdeckte. Die Glassplitter auf dem Bürgersteig zeugten davon, was hier am Vortag geschehen war. Die meisten Passanten strömten in die gleiche Richtung wie Ellen. Es lag eine allgemeine Aggressivität in der Luft.
    In den Seitenstraßen zum Kurfürstendamm traf Ellen die ersten Polizisten. Zunächst versuchte sie auszuweichen, aber das war kaum möglich. Als Ellen bemerkte, dass die Polizisten keine Notiz von ihr nahmen, ging sie einfach weiter wie die anderen Leute auch.
    Auf dem Kurfürstendamm formierte sich ein Demonstrationszug. Überall war das Logo von Greenpeace zu sehen. Die Transparente machten schnell deutlich, worum es ging.
    Gentechnologie bringt uns um!
    Gensaatgut raus!
    Wir wollen gesundes Essen.
    Die Menge der Leute war nicht zu zählen. Normalerweise führten Demonstrationen bei Ellen zu erhöhter Anspannung, ein Erbe unzähliger Polizeieinsätze, bei denen es immer wieder um die Einschränkung von Gewalt ging. Diese Demonstration wirkte beruhigend auf Ellen. Sie hatte den Eindruck, nicht mehr allein da zu stehen. Sie ließ sich einige hundert Meter mit der Menge treiben, bis der Zug ins Stocken kam.
    Ellen schlängelte sich bis zur Spitze durch. Vor der Gedächtniskirche gab es eine Veranstaltung. Sie konnte den Mann auf der Bühne nicht erkennen, aber gut verstehen. Er vertrat eine Gewerkschaft und wetterte gegen die Großkonzerne, die seiner Ansicht nach für die Preissteigerungen verantwortlich waren. Er machte immer wieder Pausen, um den Zuhörern Gelegenheit zu geben, in ihre Trillerpfeifen zu pusten. Ellen war über jeden Meter Abstand heilfroh. Sie versuchte, weiter an den Rand zu kommen. Leider war sie zu klein, um sich orientieren zu können. Sie drängte einfach in eine beliebige Richtung. Es war die falsche. Plötzlich fand Ellen sich mitten in einer Gruppe junger Männer in Springerstiefeln wieder.
    »Ausländische Konzerne raus«, skandierten sie, so laut sie konnten. Dabei stießen sie ziemlich rücksichtslos andere Demonstranten zur Seite.
    Scheiße!, dachte Ellen. Das ist keine gute Mischung.
    Sie musste unbedingt hier weg. Die Situation konnte jederzeit eskalieren, und sie war mittendrin.
    Für eine Frau von kaum einem Meter sechzig Größe war es ziemlich schwierig, sich zwischen diesen Typen einen Weg zu bahnen. Sie nutzte jede noch so kleine Lücke. Endlich erreichte sie den Rand, wo die Leute nicht mehr so dicht standen.
    Ellen kletterte auf einen Altpapiercontainer, um überhaupt so etwas wie Übersicht zu bekommen. Die Menschen standen dicht an dicht, soweit sie sehen konnte, die idealen Voraussetzungen für eine Panik. Das war beim besten Willen keine organisierte Demo. Anfangs vielleicht, aber dann waren immer mehr Menschen untersc hiedlichster Einstellungen dazugekommen. Ellen erkannte sogar Transparente der Linken.
    Enteignet die Banken!
    Geld kann man nicht essen.
    Ihre Exk ollegen taten Ellen leid. Das konnte man nicht mehr unter Kontrolle halten, hier konnte man nur noch hoffen und beten und auf ein Ende warten.
    Eine junge Frau, die in diesem Moment an dem Container vorbeiging, reichte Ellen eines von ihren Blättern, die sie unter die Umstehenden verteilte.
     
    Die Bibel hat es prophezeit
    Zwei Pfund Weizen für einen Tageslohn.
    Offenbarung, Kapitel  6 Vers 6
    Die Menschen werden sich gegenseitig umbringen.
    Offenbarung, Kapitel 6 Vers 4
    Das Ende ist nahe.
    Kehrt um, damit ihr nicht verloren geht!
     
    Es folgten weitere Ausführungen dazu, was die Bibel über die Zeit vor dem Weltuntergang angekündigt hatte und was man tun sollte, um nicht auf der falschen Seite zu stehen.
    Ellen knüllte das Blatt zusammen und warf es weg. Sie wollte sich nicht auf den Weltuntergang vorbereiten, sie wollte kämpfen, um den Weltuntergang zu

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