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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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bestanden, zu Fuß zur Pension zurückzugehen. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken, denn vor ihr lag eine echte Herausforderung. Wie nimmt man Kontakt zu einem Menschen auf, den man nicht kennt? Wenn man weder einen Namen noch eine Adresse weiß, nicht mal weiß, wie derjenige aussieht?
    Und dann: Wie soll derjenige schaffen, was der ganze Polizeiapparat vergeblich versuchte? Und das alles in wenigen Tagen?
    Eigentlich war diese Aufgabe unmöglich. Es gab nur einen, dem Ellen das zutraute. Dem Mann, der ihr Privatleben bis ins Kleinste ausgeforscht hatte, der sie dazu gebracht hatte, sich vor laufenden Kameras auszuziehen. Sie war ihm persönlich begegnet und wusste doch nichts von ihm. Er wurde von allen gesucht – und war immer noch frei. Jemand, der dazu in der Lage war, war genau der, den Ellen jetzt brauchte.
    Der Mann an der Rezeption war eingenickt. Ellen war es nur recht so. Er musste ihr Gesicht nicht häufiger sehen, als unbedingt nötig.
     
    Ellen saß vor ihrem Laptop und ging ein letztes Mal ihre Optionen durch. Wenn sie den nächsten Schritt tat, begann eine Gratwanderung, gefährlich und eigentlich unmöglich. Ziel unbekannt. Der Preis, den sie dafür bezahlen musste? Unbekannt.
    Und was ist, wenn ich diesen Schritt nicht gehe? Dann ist mein Weg ziemlich klar. Geradewegs zwischen Betonwände und Gitterstäbe.
    Eigentlich konnte Ellen im Moment gar nicht viel tun. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Erpresser tatsächlich noch Interesse an ihr hatte und wieder nach ihr suchte. Marina hielt das für möglich, ja sogar für wahrscheinlich. Es musste irgendeine besondere Verbindung zwischen ihr und diesem Mann geben, auch wenn sie sich selbst nicht vorstellen konnte, was das sein sollte.
    Fest stand, dass der Mann ein Spieler war. Er hatte mit ihr um Menschenleben gespielt, aber sein eigentliches Ziel war gewesen, Ellen so weit zu bringen, wie sie es niemals für möglich gehalten hatte. Das war ihm gelungen, nicht nur einmal, sondern mehrmals. Er hatte sie so weit gebracht, sich in der Öffentlichkeit vor Kameras auszuziehen und sich später sogar nackt für ihn an ein Bett zu fesseln. Er hatte das Spiel gewonnen, was einen mächtigen Kick für ihn bedeuten musste. Aber jeder Kick verblasste mit der Zeit. Dann begann die Suche nach dem nächsten. Marina hatte Ellen in der Vermutung bestätigt, dass die Zeit wieder reif für einen neuen Kick sein konnte, ein neues Spiel mit Ellen, was auch immer das bedeuten mochte. Ellen hoffte, dass die Zeit tatsächlich so reif war.
    Nachdem sie beim jüdischen Friedhof erkannt worden war, würde die Polizei beginnen, mögliche Unterkünfte rund um den Punkt ihrer Entdeckung abzuklappern. Sie konnte im b esten Fall noch bis morgen hierbleiben.
    Als Erstes deaktivierte Ellen die Sicherheitsprogramme ihres Rechners. Es gab eine Menge davon, und sie hatte sich von Experten beraten lassen. Noch einmal sollte es nicht passieren, dass jemand ungefragt in ihr Privatleben eindrang und sie ausschnüffelte. Jetzt hatte sich die Lage geändert. Sie musste ihrem Erpresser beweisen, dass sie ihm keine Falle stellte. Er war extrem vorsichtig und misstrauisch, und dem konnte sie nur durch totale Offenheit begegnen. Sollte auch nur der geringste Eindruck entstehen, dass sie ihn hereinlegen wollte, war die Kontaktaufnahme beendet, bevor sie begonnen hatte.
    Ein Warnton und ein rotes Ausrufezeichen erschienen. »Achtung, wenn Sie die Software deaktivieren, ist Ihr Rechner ungeschützt! Wollen Sie das wirklich?«
    Ellen wollte. Dann tippte sie ihre Botschaft in ein Textfeld, um sie anschließend in diversen Foren und Chatrooms zu platzieren.
     
    Unbekannter Erpresser ,
    ich brauche deine Hilfe .
    La Tigresa
     
    Das war die seltsamste Nachricht, die sie jemals verfasst hatte, aber sie wollte auf keinen Fall ihren Namen preisgeben und erst recht nicht ihre Adresse. Wer bei den Foren einfach die Antwort-Funktion benutzte, den würde sie ignorieren. Damit konnte sie ziemlich sicher sein, alle falschen Hilfsangebote und Kontaktversuche Neugieriger eliminiert zu haben. Nur der wirkliche Erpresser wusste, wer hinter dieser Nachricht stand, und nur er würde einen Weg finden, ihr zu antworten. Allein der Reiz dieser Herausforderung würde schon ein erster Köder für ihn sein.
    »La Tigresa« stand unter der Nachricht, auf deutsch: die Tigerin. Ellen glaubte zu spüren, wie das Tattoo an der Außenseite ihrer linken Brust zu glühen begann. Ein Tiger im Sprung, den sie sich während eines Urlaubs

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