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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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Stimme. Vielleicht war er auch sprachbehindert. »Wenn Sie mich begleiten würden ...« Er hielt ihr seinen gebeugten Arm hin. Ellen hakte sich leicht ein.
    »Ihr Begleiter wird sich ein paar Minuten verspäten. So haben Sie etwas Zeit, sich an die Umgebung zu gewöhnen.«
    Sahin führte Ellen zu einer Lichtschleuse, die verhinderte, dass auch nur der geringste Lichtschein in den Gastraum fiel.
    Ellen stockte. Alles, was sie bisher als schwarz oder finster erlebt hatte, wurde bei Weitem übertroffen. In diesem Raum existierte kein Lichtquant. Es gab keine Ritzen und kein Schlüsselloch. Handys und sogar leuchtende Uhrzeiger waren verboten. Es gab absolut nichts, was dem Sehnerv ihrer Augen einen noch so geringen Reiz verschafft hätte. Umso aktiver begannen ihre anderen Sinne zu arbeiten. Aus mehreren Richtungen hörte Ellen das Murmeln von leise geführten Gesprächen.
    Sahin führte sie ohne jegliche Unsicherheit und ohne das geringste Zögern zu einem Tisch. Er orientierte sich an der Beschaffenheit des Fußbodens, wie man ihr erklärt hatte. Ellen spürte keine Unterschiede, sie konnte nur die Schritte zählen: achtundzwanzig. Saßen sie am Rand? Vielleicht. Die Stimmen der anderen Gäste kamen nur aus einer Richtung.
    Sahin stellte Ellen an eine bestimmte Stelle und schob von hinten einen Stuhl an sie heran. Automatisch setzte sie sich.
    »Vor Ihnen steht ein gedeckter Tisch. Stellen Sie sich den Teller als Uhr vor. Auf ein Uhr steht eine Tasse mit Kaffee, auf drei Uhr liegt ein Messer, auf neun Uhr eine Schale mit Rührei und einem Löffel, und auf elf Uhr steht ein Glas Orangensaft. Auf dem Teller liegen ein aufgeschnittenes Brötchen, ein Croissant und zwei kleine Schälchen mit Marmelade. Ein Schälchen hat Erdbeerform und das andere ist wie eine halbierte Aprikose. Am besten orientieren Sie sich ein bisschen, während ich Ihren Begleiter abhole.«
    Ellen hörte, wie sich Schritte entfernten. Dann tastete sie die genannten Gegenstände ab. Es war seltsam, absolut nichts zu sehen. Eigenartigerweise schien der Kaffee dafür umso besser zu riechen und erst das Croissant und die Marmelade ...
    Schritte kamen näher. Ellen vergaß die Gerüche. Sie versuchte wahrzunehmen, wer kam. Sahin erklärte das Gleiche noch mal, dann zog er sich zurück. Jetzt saß Ellen ihrem Erpresser gegenüber. Sie hörte seinen Atem. Ging er schneller als sonst? Möglicherweise ein bisschen. War er aufgeregt? Sie war es jedenfalls, musste sie sich eingestehen.
    »Einen seltsamen Ort haben Sie ausgewählt«, sagte Ellen.
    »Ich dachte, wir waren beim Du«, sagte der Erpresser.
    Es war die gleiche Stimme wie damals auf Mallorca. Er war es tatsächlich. Er saß ihr leibhaftig gegenüber, und dieses Mal war sie nicht gefesselt.
    »Also gut, du. Dann wüsste ich aber gerne deinen Namen.«
    »Später. Vielleicht.«
    »Ich werde keinen Preis bezahlen, um deinen Namen zu erfahren. Noch mal ziehe ich mich nicht vor dir aus.«
    »Das wäre hier auch ziemlich sinnlos – obwohl der Gedanke durchaus reizvoll wäre.«
    »Das kannst du vergessen.«
    Der Erpresser lachte leise. »So widerborstig? Du hast dich überhaupt nicht verändert, und das, wo du so tief in der Tinte steckst.«
    »Woher willst du wissen, worin ich stecke?«
    »Ich weiß viel mehr, als du ahnst, sonst säße ich nicht hier. Du weißt, ich bin äußerst vorsichtig.«
    Ellen hörte, wie er zum Messer griff, dann klapperte Metall auf Glas. Sie konnte sogar hören, wie er die Marmelade auf das Brötchen strich.
    »Du solltest etwas essen«, sagte der Mann. »Ich dachte, ein Frühstück könntest du gut gebrauchen.«
    Da hatte er recht. Ellen hatte Hunger, und nach der kurzen Nacht war ein Kaffee genau das Richtige. Sie tastete nach der Tasse. Der Kaffee entfaltete in ihrem Mund ein kaum für möglich gehaltenes Aroma. Leider ließen die Umstände nicht zu, ihn wirklich zu genießen. Man war hier drinnen wie in einer anderen Welt, aber die Gefahr draußen war so drohend, dass Ellen sie nicht beiseiteschieben konnte. Sie musste zur Sache kommen, bevor irgendwas dazwischenkam. Dass sie eine zweite Chance zu einer Begegnung mit ihrem Erpresser bekommen würde, bezweifelte sie. Also, jetzt oder nie.
    »Ich brauche deine Hilfe. Darüber würde ich gerne reden, aber hier? Ich kann keine Zuhörer gebrauchen.«
    Tatsächlich schienen ihre Ohren mit dem Wegfall der optischen Eindrücke mit jedem Moment empfindlicher zu werden. Den anderen Gästen würde es genauso gehen. Ellen konnte die

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