Zehntausend Fallen (German Edition)
Sinnvolles für dich tun kann. Ansonsten kann ich dir nur raten: Wenn du heil hier rauskommen und das da draußen auch noch lösen willst, dann musst du dir etwas so Verrücktes einfallen lassen, auf das selbst ich nicht kommen würde.«
»Ich werde einen Weg finden.«
»Das hoffe ich. Ich würde dich ungern im Knast besuchen müssen. Du solltest dich aber beeilen. Viel Zeit lässt dir Rux sicher nicht. Und Hasels. Und die beiden Typen. Und Daudert. Und wer sonst noch alles hinter dir her ist.«
15
Ellen wartete den Einbruch der Dämmerung ab, bevor sie die Pension verließ. Dann war die Gefahr, erkannt zu werden, geringer. Sie brauchte Bewegung, frische Luft, freie Sicht. Sie musste klar denken können, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. In dem kleinen Zimmer fühlte sie sich eingesperrt, eingespannt wie in einen Schraubstock. Nicht auszudenken, wie es ihr gehen würde, wenn sie viele Jahre in einer Zelle zubringen musste. Das durfte nicht passieren. Niemals!
Ihre Chancen standen schlecht. Das hatte das Gespräch mit Sina deutlich gezeigt. Ellen wusste, dass sie unschuldig war, aber sie konnte es nicht beweisen. Die Gegenseite hatte Beweise, zwar gefälschte, aber auch das konnte Ellen nicht nachweisen.
Nicht weit von Ellens Pension verlief die Schönhauser Allee. Zwischen den beiden Fahrstreifen standen zwei Baumreihen mit einem Weg in der Mitte, ideal zum Flanieren. Aber es flanierte niemand. Die Stimmung war angespannt, es herrschte überraschend viel Betrieb, und fast alle gingen in Richtung Berlin-Mitte. Ellen ging einfach mit. Das war leichter und unauffälliger, als gegen den Strom zu laufen. Sie hatte kein bestimmtes Ziel, sie wollte in Bewegung sein und nachdenken.
Egal, wie sie es drehte und wendete, sie brauchte Beweise. Beweise für ihre Unschuld und Beweise für die Machenschaften von Saatogo. An diesen Beweisen hing alles, im Prinzip sogar ihr Leben – und möglicherweise das von vielen anderen auch. Während ihrer Zeit in verantwortlicher Position beim lka hatte sie Zugriff auf nahezu unbeschränkte Ressourcen gehabt. Bei Bedarf konnte sie auf Hundertschaften der Polizei zurückgreifen oder Scharfschützen oder Wissenschaftler, it -Experten, Labors ...
Jetzt hatte sie nichts mehr davon. Ihr ganzer Besitz passte in eine Reisetasche, abgesehen von zwei Fahrrädern im Keller und einem Auto, dass sie nicht benutzen konnte, weil sie damit sofort auffallen würde. Sie konnte sich kaum bewegen, weil die Polizei nach ihr fahndete. S - und U-Bahn konnte sie vergessen, Taxi auch. Selbst Geld konnte sie keins mehr abheben.
Das war eine äußerst bescheidene Ausgangsposition im Hinblick auf die vor ihr liegende Aufgabe.
Ich brauche Verstärkung.
Das war leichter gedacht als getan. Ellens Bekanntenkreis war schon immer sehr übersichtlich gewesen. Zu allem Überfluss hatten ihre wenigen Freunde alle etwas mit der Polizei zu tun. Wer sich von denen mit ihr traf, ohne Meldung zu machen, machte sich strafbar. Das würde keiner riskieren, außer eben Sina. Zu ihrer Schwester, Annika, konnte Ellen auch nicht. Die würde garantiert überwacht, weil sie die einzige Verwandte von Ellen war.
Auf der Höhe des jüdischen Friedhofs kam Ellen kaum noch voran. Manche Leute waren stehen geblieben und behinderten die, die weitergehen wollten. Irgendwas war hier los.
Ellen zwängte sich nach vorne, um etwas sehen zu können. Vor dem Eingang zum Friedhof standen Polizisten. Ellen schätzte zwanzig bis dreißig. Sie taten nichts, aber ihre Anspannung konnte Ellen über die Straße hinweg spüren. Den Grund für diese ungewöhnliche Ansammlung fand Ellen etwa zweihundert Meter weiter südlich. Dort standen mehrere Gruppen, die Ellen unschwer als Neonazis erkennen konnte. Sie taten auch nichts, standen einfach nur da, rauchten, hielten Bierbecher in der Hand und redeten miteinander. Sie schienen sich über die Polizisten zu amüsieren, die allein deshalb aufgezogen waren, weil sie vielleicht etwas vorhaben könnten , vielleicht aber auch nicht. Nur konnten das die Polizisten nicht wissen. Es war ein übles Spiel, und Ellen beneidete ihre ehemaligen Kollegen nicht.
Sie wollte schon weitergehen, als sie eine Veränderung bei der Polizei spürte. Ein Außenstehender hätte es kaum bemerkt, aber Ellen kannte solche Situationen nur zu gut. Dort wurden möglichst unauffällig Informationen ausgetauscht. Befehle wurden in Funkgeräte gesprochen, die Beamten nahmen eine Haltung an, als ob sie gleich aktiv werden
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