Zehntausend Fallen (German Edition)
auf Mallorca hatte tätowieren lassen. Eine unerquickliche Geschichte, aber der Tiger war nun mal da – und der Erpresser wusste darum. Genau wie um ihren heimlichen Spitznamen »La Tigresa«. Für ihn war dieses Stichwort ein eindeutiger Hinweis auf Ellen und auch ein Hinweis auf die Echtheit der Nachricht.
Ellen öffnete ihren Internetbrowser, um mit den ersten Foren zu beginnen. In diesem Moment wurde ihr Monitor schwarz. Dann erschien eine Schrift.
Verlass das Gebäude
sofort !!!
Kammer des Schreckens
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So schnell hatte Ellen nicht mit einer Reaktion gerechnet. Sie hatte ihre Botschaft noch gar nicht abgesandt. Nach dem Deaktivieren der Sicherheitssoftware musste er ihren Rechner sofort übernommen haben. Er hatte den Text schon gelesen, als sie ihn bloß in das Textfeld des Editors geschrieben hatte. Anders konnte es nicht sein.
Dass die Botschaft von ihrem Erpresser kam, stand für Ellen fest. Die flammend roten Buchstaben auf einem schwarzen Monitor waren typisch für ihn, den Computerspiele-Entwickler. Der Text erschreckte sie mehr. sofort !!!
Ellen zweifelte keine Sekunde daran, dass es dringend war. Sie griff ihre Tasche mit Geld, Ausweis und Waffe und lief los. Auf der Treppe hörte sie, wie vor dem Haus Bremsen quietschten. Sie schaffte es gerade bis in den Abgang zum Keller, als die Tür aufgerissen wurde. Ellen spähte vorsichtig um die Ecke. Sie sah zwei Männer von hinten, die auf den Portier einredeten und ein Foto zeigten.
»Wo wohnt diese Frau?«
Das waren Hasels Leute. Meine Güte, waren die schnell. Und sie zweifelten offensichtlich nicht daran, dass Ellen hier war. Sie fragten nicht, ob sie hier wohnte, sondern nur, wo sie wohnte. Der Portier nannte Ellens Zimmernummer. Einer der Männer lief die Treppe hinauf, der andere wartete auf den Aufzug.
Sobald der Mann im Aufzug verschwunden war, lief Ellen an der Rezeption vorbei nach draußen. Es war ihr egal, ob der Portier sie sah. Die Männer würden sowieso jetzt schon wissen, dass sie ausgeflogen war, und auch, dass sie wenig Vorsprung hatte.
Als Erstes sorgte Ellen dafür, Abstand zur Pension Berlin zu gewinnen, indem sie wieder einige kleinere Straßen entlanglief, vorzugsweise entgegen der Einbahnstraßen-Fahrtrichtung. Ihr war klar, dass diese Taktik nicht lange gut gehen konnte. Was Hasels Leute wussten, wusste auch Hasels. Der hatte garantiert schon Rux informiert, und so wusste es bald die Berliner Polizei. Im ungünstigsten Fall dauerte diese Kommunikation fünf Minuten, wahrscheinlich weniger.
Vor dem Eingang zu einem Hinterhof standen mehrere Jugendliche lässig an ihre Motorroller gelehnt. Ellen lief darauf zu. Sie wirkten nicht so, als würden sie sich für die aktuelle Nachrichtenlage interessieren, eher so, als könnten sie Geld gebrauchen.
»Hat einer Lust, zwanzig Euro zu verdienen?«
Die Jugendlichen sahen sich fragend an.
»Was willst'n dafür?«, fragte ein schlaksiger, offensichtlich der Wortführer.
»Ich habe ein Date und will nicht zu spät kommen. Ich brauche einen, der mich hinbringt.«
»Zeig das Geld.«
Ellen holte einen Zwanzig-Euro-Schein hervor. Der Schlaksige wollte danach greifen, aber Ellen zog ihn zurück und schüttelte den Kopf.
»Erst am Ziel.«
Er zögerte.
»Kein Problem. Ich kann auch jemand anders fragen.« Ellen tat so, als ob sie gehen wollte.
»Hey, warte. Ich fahr dich.« Er ließ schon seinen Roller an. »Sitz auf. Wo soll's denn hingehen?«
»Fahr einfach los.«
»Ich kenn mich hier gut aus.«
»Schwätz nicht so viel und fahr. Oder kannst du nicht?«
Ellen hatte wenig Lust, ihm ihr Ziel zu verraten. Außerdem wollte sie nicht, dass er über den Weg entschied. Jeden Moment konnte irgendwo eine Streife auftauchen, und Ellen wollte dann ausweichen können, ohne etwas erklären zu müssen.
»Du bist eine schwierige Braut.«
»Du musst mich ja nicht heiraten.«
Damit war der Schlaksige wohl zufrieden. Er schwieg.
Die »Kammer des Schreckens« kannte Ellen gut. Das war ein Raum in einer abgelegenen Industriebrache, den der Erpresser in Computerspiel-Manier so genannt hatte. Der Erpresser hatte ihn zu einer Falle präpariert und ein sek -Team hineingelockt. Dabei hatte Stefan Daudert sich unsäglich blamiert, auch vor laufenden Kameras, wie sich später herausgestellt hatte.
Ellen ließ sich in der Nähe der Brache absetzen.
»Komischer Ort für ein Date«, fand ihr Fahrer.
»Ich habe eben einen anderen Geschmack als du.« Ellen hielt ihm den Schein hin.
Der
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