Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
Vom Netzwerk:
Volksarmee und eine Warnung, dass sie Sprengstoff enthielten.
    »Die sind ja wohl leer.«
    »Leere Kisten bringen mir nichts.«
    Ellen öffnete eine Kiste. »Da ist ja wirklich Sprengstoff drin.« Sie konnte es kaum glauben.
    »Hast du Gummibärchen erwartet?«
    » Darauf soll ich schlafen?«
    Hajo zuckte mit den Schultern. »Du kannst auch auf dem Fußboden schlafen oder in der Badewanne. Das ist im Prinzip egal. Wenn das Zeug hochgehen sollte, lebst du eben eine Zehntelsekunde länger, aber die wird dich auch nicht glücklich machen.«
    »Die vielen Leute hier im Haus und nebendran. Das ist viel zu gefährlich. Der ganze Block könnte in die Luft fliegen.«
    »Vermutlich«, sagte Hajo. »Ich wollte es nicht ausprobieren. Aber warum sollten die Sachen hochgehen? Sie sind seit vierzig Jahren nicht explodiert. Es gibt keinen Grund, dass sie das jetzt tun. Du musst ja nicht im Bett rauchen.«
    Das würde Ellen gewiss nicht tun. Sie fragte sich allerdings, ob das Leben in einer Zelle wirklich so schlecht war im Vergleich zu dieser mörderischen Wohnung.
    »Und in dieser Wohnung lebst du?«
    »Die Lage ist ideal. Zentral gelegen und doch in einer anderen Welt. Hier stellt niemand neugierige Fragen, weil kaum jemand Deutsch kann. Und die Polizei fragt auch niemanden, weil sie weiß, dass sie keine Antworten bekommen wird. Aber das Beste sind die Telefonleitungen. Sie sind das Einzige, was hier funktioniert, und die sind richtig gut. Ich habe gleich mehrere Anschlüsse gemietet, weil die hier eh keiner braucht.«
    Während Hajo weiter von der rasend schnellen Internetverbindung schwärmte, führte er Ellen in seinen Techn ikraum. An der Wand hing ein riesiger Flachbildschirm. Auf einem großen Tisch standen weitere Monitore, und unter dem Tisch summten Rechner.
    Es war durchaus beeindruckend, aber Ellen dachte etwas anderes. »Du bist meiner Frage ausgewichen. Du lebst in dieser Wohnung?«
    Hajo sah Ellen wieder an. Er schwieg.
    »Du bist ein kluges Mädchen«, sagte er dann.

21
    Ellen schleuderte die Perücke mit Schwung auf die Couch. Siebenundvierzig Sekunden. So ein Ärger. Dabei hatte sie sich bestimmt schon zwanzig Mal umgezogen. Hajo war der Überzeugung, dass im Ernstfall dreißig Sekunden noch zu lange waren. Ellen sah ein, dass man nicht immer kämpfen konnte, und Weglaufen funktionierte auch nur ein oder zweimal. Dann waren die Gegner darauf vorbereitet.
    Unsichtbar werden musste sie. Zuerst hatte Ellen das für eine neue Spinnerei von Hajo gehalten, aber dann hatte sie verstanden. Die Person Ellen Faber, eins sechzig groß, blond, schlank, immer sportlich oder leger gekleidet, war bekannt und wurde gesucht. Sie brauchte nur eine Nase zur Tür herausstrecken, und die Jagd ging los. Hajo, ein wirklicher Verbrecher, wurde auch gesucht, aber er hätte sogar in eine Polizeiwache spazieren können, ohne erkannt zu werden. Im Prinzip war er für die Polizei unsichtbar.
    Diesen Status musste sie unbedingt erreichen, wenn sie sich wieder frei bewegen wollte. Dass das nicht einfach werden würde, war Ellen bewusst, aber dass es so anstrengend war, hatte sie doch überrascht. Mit simplem Haareabschneiden und -färben war es nicht getan. Damit konnte sie bestenfalls Zivilisten beeindrucken, aber keine Profis von der Polizei oder von Saatogo.
    »Du musst deine Persönlichkeit ändern«, hatte Hajo gesagt, »im Notfall in Sekunden. Wenn du in einen Raum hineingehst, muss sofort ein ganz anderer Mensch herauskommen, den niemand mit dem ersten in Verbindung bringt.«
    Daran arbeitete Ellen, und das war schwieriger als gedacht. Vor allem die Dreißig-Sekunden-Grenze. Mit einem Seufzer zog Ellen sich wieder aus, um einen neuen Durchlauf zu starten. In wenigen Minuten verwandelte sie sich in eine Unternehmensberaterin. Dunkler Hosenanzug, Haare zusammengesteckt, Brille mit markantem schwarzen Rand, dezent elegante Schuhe. In die dazugehörige Mappe kamen Flip-Flops, Hotpants, ein buntes Shirt, die schwarze Perücke und eine Sonnenbrille von Dolce & Gabbana, natürlich eine billige Fälschung. Das war ihre Notfallausrüstung, die sie immer bei sich tragen musste, wenn sie das Haus verließ. Aus diesem Grund war auch alles klein und leicht. Es passte zur Not in eine Handtasche.
    Ellen ging im Wohnzimmer auf und ab und stellte sich vor, zu einem wichtigen Meeting zu müssen. Dann klingelte die Uhr, das Zeichen für einen Notfall. In rasender Eile zog Ellen den Hosenanzug aus, Shirt übergestreift, Hotpants an, Perücke und

Weitere Kostenlose Bücher