Zehntausend Fallen (German Edition)
Veritatis. »Dazu hätte ich ihnen auch nichts gesagt.«
Hasels machte mit seiner Befragung weiter.
»Hah, das ist er«, sagte Ellen und schlug mit ihrer Faust in die andere offene Hand.
Hajo sah auf. »Was ist wer?«
»Unser Anknüpfungspunkt. Wir haben ihn. Wir müssen alles über Romano Pasano herausfinden. Er ist der Schlüssel, den wir brauchen.«
Hajo sah Ellen ungläubig an.
»Wie kommst du darauf?«
»Hasels hätte diese Frage nicht gestellt, wenn Pasano nicht sehr wichtig wäre. Und dann die Art, wie Hasels sie stellte, irgendwie lauernd. Lass die Stelle noch mal abspielen.«
Hajo tat es.
»Hörst du das?«
Hajo hörte nichts.
»Das ist die Stimme eines Jägers«, erklärte Ellen. »Hasels will nicht nur wissen, ob Veritatis etwas über Pasano gesagt hat. Hasels will mehr. Er versucht, es zu verbergen, aber glaub mir, ich hab schon viele Verhöre mitgemacht. Hasels will Pasano.«
Hajo fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Das würde bedeuten, Hasels ist nicht nur unseretwegen in Berlin. Er ist auch wegen Pasano hier.«
Ellen nickte. »Was eine ganze Menge Konsequenzen hat.«
Sie ging einmal zur Balkontür und zurück.
»Wir müssen alles über diesen Romano Pasano herausfinden.«
Hajo begann eine einfache Suche in Google. Nach kurzer Zeit pfiff er durch die Zähne.
»Du hast recht, das ist ein interessanter Kandidat. Er hat bei Saatogo gearbeitet und bei Progentus, also bei beiden Firmen, die in diese Gen-Schweinerei verwickelt sind. Das ist verdächtig – und sonderbar. Wer arbeitet für die härtesten Konkurrenten? Warum tut er das, und vor allem: Was hat er dort getan?«
»Bring deinen Laptop mit«, sagte Ellen und ging in den Technikraum, wo auch ihr großer Plan hing. Eine Wand war noch zur Hälfte frei. »Hier kommt alles dran, was wir über Pasano herausfinden.«
In den nächsten Stunden recherchierte Hajo im Internet und versorgte Ellen mit Stichworten. Die notierte sie auf Zettel und heftete sie an die Wand. Das Zentrum bildete ein großes Foto von Pasano.
33
Die Spinne hatte es nicht eilig. Sie stelzte mit ihren langen Beinen über Pasanos rechten Schuh und legte zwischendurch sogar eine kurze Pause ein. Früher hätte Pasano sie mit einer Bewegung abgeschüttelt, heute nicht. Sein Blick wanderte von der Spinne zu der Ansammlung Bauhütten, die er von seinem Platz am stillgelegten Bahndamm gut übersehen konnte. Die Hütten erinnerten ihn an sein Heimatdorf in Südtirol, zwanzig Kilometer von der bekannten Stadt Meran entfernt. Sein Dorf kannte kaum jemand, denn dort lebten nicht mehr Menschen als hier, allerdings hatte es damals dort schon fließendes Wasser gegeben, was man in dieser Siedlung vergebens suchte, genauso wie elektrischen Strom für Küchengeräte. Dafür gab es ein zentrales Plumpsklo, was im Winter für die Bewohner eine besondere Herausforderung war, aber das hatte er sich nur erzählen lassen. Im Winter war er noch nicht hier gewesen.
Ob die Berliner wussten, dass es mitten in ihrer Stadt solch eine Siedlung gab? Wahrscheinlich die wenigsten, und das war ein Grund, warum Pasano die Siedlung Lohmühle gefiel. Wer ihn in Berlin suchte, würde ihn garantiert nicht an diesem Ort suchen. Er existierte in den Gedanken der meisten Menschen einfach nicht.
Es gab noch mehr Gründe, warum Pasano diesen Ort mochte, aber jetzt wurde er von einem der seltenen Touristengrüppchen abgelenkt, die sich gelegentlich hierhin verirrten. Vater, Mutter und Sohn, von ihrem Aussehen und ihrer Sprache nach Japaner, hielten auf Babette zu, die am Hochbeet werkelte. Der Mann fotografierte unentwegt, als befände er sich in einem Zoo mit exotischen Tieren.
»Wo ist die Regenwurmrennbahn?«, hörte Pasano den Jungen auf Englisch fragen.
Die Regenwurmrennbahn war eine Attraktion, die Berlin vermutlich von allen anderen Hauptstädten dieser Welt unterschied. Wahrscheinlich hatte der Junge im Internet davon gelesen, oder die Eltern hatten ihn mit diesem Stichwort hergelockt. Babette zeigte in die Richtung der Kompostieranlage, erklärte aber gleichzeitig, dass es für Regenwürmer heute an der Oberfläche zu trocken sei. Der Junge beschwerte sich bei seiner Mutter.
Noch eine Frau kam in Sicht, eine große blonde. Als Pasano sie sah, richtete er sich unwillkürlich etwas auf. Diese Frau weckte eine Erinnerung in ihm, die sehr wehtat, selbst jetzt noch nach Jahren.
Pasano, selbst eher klein und schmächtig, hatte immer von einer großen, blonden Frau geträumt. Dann hatte er sie
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