Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
Vom Netzwerk:
getroffen, Carrie McNeal. Sie war ihm während einer Gastvorlesung in den usa als Assistentin zugeteilt worden. Carrie war schlank, groß, blond, witzig und kümmerte sich um ihn. Eine Traumfrau, die sogar bereit war, ihn, den kleinen Italiener, zu heiraten. Pasano hatte im siebten Himmel geschwebt, ein paar Wochen lang. Der Traum währte so lange, bis Pasano einen gut dotierten Posten bei Saatogo als Forschungsleiter angeboten bekam.
    Ab da wollte Carrie mit den anderen Frauen aus der Führungsetage konkurrieren. Die beiden Autos sollten teurer sein und das Haus größer. Pasano wollte das alles nicht. Wozu brauchte man als Ehepaar ein riesiges Haus? Pasano war auf wenigen Quadratmetern aufgewachsen, und man kaufte ein, wenn man Geld hatte, was nicht allzu oft vorkam. Carrie kaufte immer ein. Wenn eine Kreditkarte ausgereizt war, kam die nächste dran. Die Banken fragten nicht viel. Der Traum wurde zum Alptraum. Pasano konnte nicht mehr schlafen, was Carrie aber nicht zu stören schien. »Du bist unterbezahlt. Du musst ein höheres Gehalt verhandeln«, sagte sie, wenn er sich beschwerte. »Am besten einen Bonus. So machen das alle hier.«
    Irgendwann fragten die Banken doch. Pasano blieb nichts übrig als der Gang zur Geschäftsführung. Pasano war nicht gut im Verhandeln. Er bekam trotzdem Zulagen, mehr als er eigentlich wollte, aber sie schmeckten, als wären sie vergiftet. Erst später merkte er, dass sie es wirklich waren, aber da war es zu spät. Und da war auch Carrie weg. Ein Rechtsanwalt im Country-Club hatte noch volle Kreditkarten. Selbstverständlich wickelte er auch die Scheidung für Carrie ab, zu dreihundertfünfzig Dollar die Stunde, die Pasano auch noch bezahlen musste. Pasano hätte niemals gedacht, dass ein Rechtsanwalt so viele Stunden für eine Scheidung brauchte. Pasano war eben schlecht im Verhandeln.
    Die blonde Frau verschwand nach einem kurzen Gespräch mit Babette. Die Erinnerung an Carrie blieb.
    Pasano tastete nach der Kapsel in seiner Hosentasche. Sollte er?
    »Hey, Roma. Haste mal Kaffee für mich? Meiner ist alle.«
    Das war Silvestre, ein anderer Bewohner der Siedlung. Er hatte nie Kaffee.
    »In meiner Hütte«, rief Pasano zurück. »Du weißt ja, wo er steht.«
    Pasano mochte es nicht, wenn Silvestre ihn »Roma« rief. Das war zwar abgeleitet von seinem Vornamen »Romano«, aber es klang nach Zigeuner. Er war kein Zigeuner, oder doch? Geboren in Südtirol, aufgewachsen in Berlin, gewohnt hatte er in mehreren Städten in den usa , dann Brüssel. Und jetzt wieder hier. Der Kreis schloss sich.
    Pasano nahm die Kapsel aus der Hosentasche und betrachtete sie. Sie sah harmlos aus, wie ein Medikament. Die äußere Hülle war auch kaum anders als eine Medikamentenhülle. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie sich im Magen-Darm-Trakt langsamer zersetzte. Pasano schätzte zehn bis fünfzehn Stunden. Genauer konnte er es nicht sagen – und das war Absicht. Er wollte nicht wissen, wann genau das Gift freigesetzt wurde und ihm einen schnellen, schmerzlosen Tod bescherte. Er wollte nur wissen, dass er eintrat, nicht, wann .
    Pasano ließ die Kapsel durch seine Finger gleiten. Noch nicht. Erst Babette – und die Pflanzen. Pasano steckte die Kapsel zurück in die Hosentasche und ging zum Hochbeet.
    Babette suchte gerade Schnecken vom Salat ab. Schädlingsbekämpfungsmittel waren tabu in der Siedlung. Mit ihrem sehr weiten T -Shirt, das ihre rundliche Figur kaum verbarg, und der Jeans, die schon sehr viele Garteneinsätze überlebt hatte, entsprach sie überhaupt nicht seinem Traum. Trotzdem mochte er Babette. Sie hatte ihn hier aufgenommen, ohne viel zu fragen, und sie liebte die Natur. Die abgelesenen Schnecken wurden nicht etwa umgebracht, sondern jenseits des Bahndamms wieder freigelassen. Manchmal hatte Pasano den Eindruck, Babette streichele ihre Pflanzen. Sie wirkte auf ihn wie eine Mutter, fast wie »Mutter Natur«.
    Pasano sah ihr einen Moment lang zu, dann griff er selbst nach einer Bohne und strich mit der Hand darüber. Es war seltsam. Manchmal hatte er das Gefühl, er könnte in die Pflanzen hineinsehen. Er spürte ihre Struktur, fühlte, wie der Saft und die Nährstoffe von den Wurzeln in die Blätter flossen, angetrieben von der Wärme der Sonne. In seinen Gedanken entstand das Bild eines genetischen Codes. Ja, er kannte ihn. Er sah die Schwächen, wo die Bohne anfällig für Schädlinge war, wusste, was sie krank machen konnte – oder stärken, je nachdem.
    Pasano liebte

Weitere Kostenlose Bücher