Zehnundeine Nacht
der Kunstwissenschaftler, der die Betreiber bei der Einrichtung hätte beraten sollen. Nur dass die gar keine Beratung wollten und überhaupt nicht daran dachten, auf ihn zu hören. Nur seinen Namen und seinen Titel hatten sie sich gemietet, um damit Werbung zu machen. Die Ausstattung war scheußlich und überhaupt nicht stilecht, ein fürchterliches Durcheinander, das einem Doktor der Kunstgeschichte nur Schande bereiten konnte. Aber das wäre nicht das Schlimmste gewesen. Was sollte man machen, wo der Staat einen doch so schlecht bezahlte? Das Schlimmste, das was seine Karriere ruiniert und ihm seine Stelle gekostet hatte, war, dass sie in seinem Museum eine Flasche gesehen hatten, eine kostbare, seltene Flasche aus antikem Glas, die wollten sie als Vorbild für ein Werbegeschenk verwenden. Und er, mochte Allah ihm verzeihen, war so dumm gewesen und hatte ihnen die Flasche geliehen. Hundertmal hatte er ihnen eingeschärft, sie müssten sie zurückbringen, sofort, noch am selben Tag, aber sie hatten sie irgendwo verloren, konnten sie nicht wiederfinden, und so hatte er sich verleiten lassen, mochte Allah ihm gnädig sein, eine Fälschungin die Vitrine zu stellen, eine von den Tausenden von Kopien, wie sie an allen Stränden verteilt wurden. Aber wer Pech hat, hat kein Glück, und natürlich war der Tausch entdeckt worden. Man hatte ihn aus dem Museum gejagt, und jetzt war er seit Monaten arbeitslos, er, einer der größten Fachleute für safidische Kunst.»
«Was ist safidisch?», fragte der König.
«Keine Ahnung», sagte die Prinzessin. «Das Wort klang so, als ob es in die Geschichte passen würde.»
«Erzähl weiter», sagte der König.
«Immer wieder war er zu den Leuten von den Arabischen Nächten gegangen, sagte der traurige alte Herr, die waren schließlich an seiner Entlassung schuld und verpflichtet, etwas für ihn zu tun. Aber sie lachten ihn nur aus und ließen ihn sogar aus ihrem Lokal werfen. War das nicht ein Skandal, fragte er seinen neuen Freund. War das nicht eine Gemeinheit, für die Allah sie bestrafen musste?
‹Ja, ja›, sagte der Mann, aber er hörte schon eine ganze Weile nicht mehr richtig zu. Konnte es sein, dachte er die ganze Zeit, konnte es sein, dass die echte Flasche irgendwie unter all die täuschend ähnlichen Kopien geraten war? Und dass sie jetzt in seinem Hotelzimmer in einer Reisetasche lag? Dass er eine antike Kostbarkeit besaß? Dass die Stimme, die er jede Nacht hörte, gar nicht aus irgendwelcher Elektronik kam, sondern dass sie ... dass sie ... dass sie...»
«Seit wann stotterst du?», fragte der König.
«Der Mann stotterte», sagte die Prinzessin. «Wenn er sehr aufgeregt war, passierte ihm das sogar in seinen Gedanken. Er hatte in seinem Leben sehr viele Bücher gelesen, undin manchen waren Flaschen vorgekommen, in denen ein mächtiger Dschinn eingesperrt war.»
«Gin?», fragte der König. «So wie in Gin Tonic?»
«Nein», sagte die Prinzessin. «Ein Dschinn ist ein mächtiger Geist.»
«Und sitzt in einer Flasche?»
«Weil ihn jemand hineingezaubert hat.»
«Wird das ein Märchen?», fragte der König misstrauisch.
«Würde dich das stören?»
«Schon okay», sagte der König. «Solang es nicht allzu happy-happy wird.»
«Keine Angst», sagte die Prinzessin. «Er kriegt die Miss World nicht ab.»
«Dann erzähl weiter», sagte der König.
«Er ließ den älteren Herrn mit seinem Kummer einfach sitzen», fuhr die Prinzessin fort, «und nahm sich ein Taxi zurück ins Hotel. Weil er es eilig hatte und auch weil er dafür zu schüchtern war, handelte er nicht um den Preis und bezahlte viel zu viel für die kurze Fahrt. Aber das war ihm egal. Er rannte die Treppen hinauf, legte das Ohr an die Tür seines Zimmers und lauschte. Das Hotel war nicht sehr gut isoliert, das wusste er von den wummernden Bässen und den ächzenden Wasserleitungen her. Wenn die Stimme immer noch redete, hätte man sie von außen hören müssen. Aber alles war still.
Er schloss die Zimmertür auf und ging hinein. Er hatte noch nicht einmal das Licht angemacht, als die Stimme wieder anfing. Der immer gleiche unverständliche Satz. Aus seiner karierten Reisetasche.
Unter dem holzgeschnitzten Kamel und einem mit eingebranntenOrnamenten verzierten Ledergürtel lag die Flasche. Ganz vorsichtig holte er sie heraus. Sie schien in seinen Händen zu atmen, aber das bildete er sich wahrscheinlich nur ein.
Er schob die Mappe mit den Hotelprospekten zur Seite und stellte die Flasche auf das
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