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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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zu den Fleißigsten seines Berufs und hatte die aktuelle Liste der verschwundenen Antiquitäten nicht studiert. Dort hätte er exakt diese Flasche gefunden. Mit dem Vermerk: ‹Per Trickdiebstahl aus einem Museum entwendet.›
    Der Mann musste ohne Flasche und ohne Dschinn nach Deutschland zurückfliegen. Er wurde nicht reich, und die schönsten Frauen der Welt verliebten sich nicht in ihn.»
    «Ein trauriger Schluss», sagte der König.
    «Du wolltest ja nicht happy-happy», sagte die Prinzessin. «Aber die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende. Ein paar Wochen später las er in der Zeitung vom großen Glück eines einfachen marokkanischen Zollbeamten. Der hatte dreimal hintereinander in der Lotterie den Hauptgewinn gemacht und sich daraufhin ein Schloss am Meer gekauft und die Miss World geheiratet.»
    «Und der Mann hat sich umgebracht», sagte der König.
    «Das wollte er zuerst tatsächlich», sagte die Prinzessin. «Aber dann bot man ihm eine Professur für Altpersisch an,mit gutem Gehalt und Pensionsberechtigung. Da war er denn auch ganz zufrieden.»
    «Knapp vorbei ist auch daneben», sagte der König. «Möchtest du eine echt antike chinesische Vase haben? Irgendwo stehen noch ein paar Kisten von den Dingern.»

Die siebte Nacht
    «Es war einmal ein Mann», sagte die Prinzessin, «der hatte immer noch Angst. Sie hatten ihm einen neuen Namen gegeben, eine neue Vergangenheit und eine neue Heimat, aber wenn er nachts ein Geräusch hörte, schreckte er immer noch auf. Manchmal waren es auch die eigenen Schreie, die ihn weckten.»
    «Mmm ...», machte der König. Er lag mit angewinkelten Beinen auf der Seite, den Daumen im Mund. Einmal, als sie ihn noch nicht so gut kannte, hatte die Prinzessin ihn so gesehen und gedacht, er sei eingeschlafen. Sie hatte mit Erzählen aufgehört und begonnen, sich die Nägel zu lackieren. Auf der Tapete waren immer noch die blutroten Spuren zu sehen, wo er das Lackfläschchen hingeschmissen hatte.
    Klüger geworden, erzählte sie immer weiter, bemüht, ihre Stimme weder zu sehr zu heben noch zu sehr zu senken. «Es gab viele unvertraute Geräusche», sagte sie, «dort wo er jetzt lebte. Sie hatten ihm die ganze Welt angeboten, außer seinem eigenen Land natürlich. Einen Atlas hatten sie ihm hingelegt wie einen Katalog und ihn aufgefordert, etwas auszuwählen. Er hatte darin geblättert, ohne zu wissen, was er eigentlich suchte. Nur weit weg sollte es sein, das war selbstverständlich. Möglichst weit weg.
    Die Insel war ihm wegen ihres Namens aufgefallen. Dievielen Vokale klangen nach Sonne und Gewürzen, nach Urlaub und lauen Nächten, in denen man mit neuen Freunden am Strand saß und über alles redete. Nur nicht über das eine.
    Als er ihnen seine Wahl mitteilte, ließen sie sich keine Meinung dazu anmerken. Keiner nickte zustimmend, und keiner übte Kritik. Es sei allein seine Entscheidung, sagten sie.
    Überhaupt wurde alles so gemacht, wie er es haben wollte. Das gehörte zu ihrem Deal, und sie erfüllten ihren Teil. Nur seinen Namen durfte er nicht selber aussuchen. Damit hätten sie keine guten Erfahrungen gemacht, meinten sie. Allzu leicht lasse man etwas Eigenes mit einfließen, gerade wenn man versuche, das nicht zu tun, und lege so eine Spur. Sie übten mit ihm, bis er auf den alten Namen nicht mehr reagierte und beim neuen ganz von selber den Kopf hob. Sie gaben sich große Mühe mit ihm, obwohl sie ihn nicht mochten. ‹Wenn dich morgen einer erschießt, werden wir an deiner Beerdigung nicht weinen›, sagten sie. Aber sie hatten ihren Berufsstolz.»
    «Mmm ...», machte der König wieder und zog die Decke enger um sich. Solang er nur weiter den Klang ihrer Stimme hörte, sagte ihr die Erfahrung, würde sie Ruhe vor ihm haben.
    «Irgendwann», fuhr sie deshalb fort, «gab er auf alle Fragen die richtige Antwort, selbst wenn sie ihn mitten in der Nacht dafür weckten. Wo geboren, wann geboren, Name der Mutter. Das erste Schulhaus und die letzte Anstellung. Schließlich sagten sie, er sei nun bereit. Mehr könnten sie nicht für ihn tun.
    Zum Abschied schüttelte ihm keiner die Hand.
    Als er sich auf die Reise machte, war er zum ersten Mal seit Monaten wieder ganz allein. Bei der Passkontrolle schien es ihm, dass der Beamte ungewöhnlich lang auf den Bildschirm starrte, die Angaben viel zu ausführlich überprüfte. Aber dann schob der ihm die neuen Papiere, die so überzeugend alt aussahen, wieder hin und war mit seiner Aufmerksamkeit schon beim nächsten

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