Zehnundeine Nacht
den Frauen nicht an.»
«Nicht so wie ich.»
«Nicht so wie du», bestätigte die Prinzessin. «Er war nicht hässlich, und er war auch nicht dumm ...»
Der König ballte die Faust.
«... aber er war schüchtern.»
«Glück gehabt», sagte der König.
«Wenn er eine Frau kennenlernte», fuhr die Prinzessin fort, «dann überlegte er jedes Mal so lange, was er sagen sollte, dass die falschen Worte schon draußen waren, noch bevor ihm die richtigen einfielen. Manchmal stotterte er sogar, und wenn ihn eine Frau trotzdem anlächelte, dann wusste er, dass sie es aus Mitleid tat. Mit dem anderen Geschlecht hatte er kein Glück.»
«Wenn das so eine Happy-happy-Geschichte wird», sagte der König, «wo er am Schluss die Miss World abkriegt,und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, wenn das so eine Scheißgeschichte wird, dann will ich sie gar nicht hören.»
«Er kriegt nicht die Miss World ab», sagte die Prinzessin.
«Die ist auch nichts für Schüchterne», sagte der König. «Frauen mögen Männer, die nicht lang fragen. Stimmt’s?»
«Wenn du meinst», sagte die Prinzessin. «Einmal fuhr er im Urlaub nach Marokko. Nur eine Pauschalreise natürlich, denn als Assistent an der Universität verdiente er nicht viel. Er hatte irgendwo gelesen, dass man in Nordafrika besonders viele Single-Frauen antreffe. Aber in seinem Hotel waren nur lauter Paare, und als Einzelreisender bekam er im Restaurant den schlechtesten Tisch, direkt neben dem Klo.»
«Ich kriege immer den besten Tisch», sagte der König. «Weil ich am Trinkgeld nicht spare. Und weil sie wissen, dass ich unangenehm werden kann.»
«Das glaube ich dir», sagte die Prinzessin und erzählte weiter. «Er ging jeden Tag an den Strand, mietete einen Sonnenschirm und einen Liegestuhl und las eins der vielen Bücher, die er sich für den Urlaub eingepackt hatte. Ins Wasser ging er nur selten. Er hatte Angst vor Quallen und war auch anfällig für Sonnenbrand.
Am späten Nachmittag eines solchen Tages war er wieder einmal mit seinem Handtuch, seinem Buch und der großen Tube Sonnencreme auf dem Weg zurück ins Hotel, als ihm auffiel, dass überall im Sand Flaschen lagen. Kleine, altmodische Glasfläschchen, der Verschluss mit Pech verklebt. Einige waren zerbrochen. Man musste aufpassen, dass man nicht in die grünlichen Splitter trat.
Er überlegte gerade, wo all die Flaschen wohl herkommen mochten, als ein Mann in roten, goldbestickten Pluderhosen und mit einem grünen Turban auf dem Kopf auf ihn zutrat. Er trug einen Korb am Arm. Dem entnahm er genau so eine Flasche, wie sie überall herumlagen, und streckte sie ihm hin. ‹Arabische Nächte› , sagte er. ‹Die schönsten Frauen des Orients ganz ohne Schleier.› Dann ging er weiter.
Am Hals der Flasche war ein Zettel befestigt, der einen Nachtclub anpries. Ein Lokal für höchste Ansprüche, eingerichtet im klassisch arabischen Stil, unter Beratung durch einen der bedeutendsten Kunstwissenschaftler des Landes. Man habe bei der Ausstattung weder Mühe noch Kosten gescheut, stand da, und sogar dieses kleine Werbegeschenk sei einer bei Ausgrabungen entdeckten antiken Vorlage nachgebildet.»
«Ich habe einmal echte chinesische Antiquitäten verkauft», sagte der König. Er lachte. «Dabei kamen sie kistenweise aus einer Fabrik in Taiwan.»
«Taiwan gehört zu China», sagte die Prinzessin.
«Eben», sagte der König und lachte noch lauter. «Deshalb waren sie ja echt.»
«Der Club habe selbstverständlich Airconditioning, stand auch noch auf dem Zettel, und zu jeder vollen Stunde würden orientalische Bauchtänze geboten. Darunter war ein Gutschein. Wenn man den in die Arabischen Nächte mitbrachte, bekam man das erste Getränk umsonst. Im Wert von fünfzig marokkanischen Dirham.»
«Warst du mal in Marokko?», fragte der König. «Einmal.»
«Und wie ist das so?»
«Ich habe mich sehr gut erholt», sagte die Prinzessin. «In dem Hotel waren außer mir nur Paare.
Der Mann», fuhr sie mit ihrer Geschichte fort, «nahm die Flasche mit in sein Hotelzimmer und legte sie in eine Tasche zu den andern Reiseandenken. Aus lauter Schüchternheit kaufte er fast jeden Tag Souvenirs, obwohl er zu Hause niemanden hatte, dem er sie hätte zeigen können. Er schaffte es einfach nicht, den fliegenden Händlern am Strand nein zu sagen.
Im Hotel, wo das Personal einen Gast, der sich nicht beschweren wird, sofort erkennt, hatte man ihm das schlechteste Zimmer gegeben, direkt über der Diskothek,
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