Zeichen im Schnee
sie an. Drinnen näherten sich Schritte. Es wurde kein Licht gemacht, aber die Tür ging auf, und dann stand jemand mitten im Türrahmen.
«Komm rein», sagte eine weibliche Stimme.
Schon als sie den Fuß über die Schwelle setzte, war Edie Kiglatuk klar, wie dumm sie gewesen war. Einen Augenblick später, die Zeit war viel zu kurz, um wieder umzudrehen, spürte sie einen Luftzug und hörte ein krachendes Geräusch. Und dann nichts mehr.
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37
Chuck war im Auto unterwegs nach Merrill Field, als sein privates BlackBerry klingelte. Auf dem Display erschien Marshas Nummer.
«Hallo», sagte er, «was macht der Slope?» Seine Frau hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden einen Kurztrip durch den Norden absolviert. Sie hatte in Nome Quartier bezogen und von dort aus Kotzebue, Barrow und den Ölfeldern am North Slope eine Stippvisite abgestattet. Chuck hatte vor, in ein paar Tagen ebenfalls raufzufliegen. Dass die Hillingberg-Kampagne die Ölindustrie unterstützte, war extrem wichtig, wenn man bedachte, welche Bedeutung sie für Alaskas Wohlstand hatte.
Marsha sagte, dem Slope ginge es gut. «Die sind von Shippon genauso genervt wie wir. Alle brav auf Linie. Zu alt, zu eingefahren, Alaska braucht einen neuen Besen.» Sie lachte kurz auf. «Aber hallo, den werden sie kriegen!»
Sie fuhren an der APD -Zentrale vorbei. Chuck blickte aus dem Fenster. Er war froh, dass keine Demonstranten zu sehen waren. Dann brummte sein dienstliches BlackBerry. Eine E-Mail von April, die ihm mitteilte, dass alle Vorbereitungen getroffen seien und sie ihn in Nome vom Flughafen abholen würde. Andy, April und das übrige Team hatten bereits am Morgen den Linienflug von Anchorage genommen. Chuck hatte beschlossen, später mit seiner Cessna Stationair selbst raufzufliegen. Eine gute Gelegenheit, sich als unabhängiger Alaskaner zu präsentieren und damit ein bisschen extra zu punkten.
«Ich muss Schluss machen», sagte er. «Wir sehen uns nachher in Nome im Hotel. In etwa drei Stunden?»
«Lass dir Zeit», antwortete Marsha.
Während er sich durch die vertrauten Straßen der Stadt kutschieren ließ, die ihr kahles, eisiges Wintergewand trug, dachte Chuck darüber nach, was es für eine Erleichterung wäre, endlich aus Anchorage rauszukommen. Er war unter den gegebenen Umständen kein schlechter Bürgermeister gewesen, aber es wurde Zeit, den Stab an jemanden weiterzugeben, der diese Stadt wirklich liebte. Alaskas Staatsmotto «North to the Future» – Dem Norden die Zukunft – war weder auf ihn noch auf seine Zukunft gemünzt. So wie Chuck die Lage sah, hatten Öl und Politik den Staat nur versaut, ohne ihm zur Macht zu verhelfen. Was ihn betraf, so lagen die kommenden Jahre im Süden, zunächst in Juneau als Gouverneur von Alaska, und später dann in Washington D.C. Als der Fahrer den öffentlichen Bereich am Rollfeld passierte und weiter zum VIP -Bereich fuhr, konnte Chuck den Neuanfang förmlich spüren, dem er unausweichlich entgegenging.
Sein Mechaniker Foggy Banks stand vor der geöffneten Seitenhaube der Stationair und überprüfte die Mechanik rund um den Umlenkhebel für das Höhenruder. Chuck mochte den Kerl. Bank gehörte zu den immer seltener werdenden Exemplaren zäher Alaskaner vom alten Schlag; einer, der gerne auf die Jagd ging, sich am liebsten im Freien aufhielt, vom Hausbau bis zum Lachsräuchern ein geschicktes Händchen für fast alles hatte und stolz auf seine Arbeit war. Er war immer schmuddelig und schien keine Frau lange genug bei sich zu haben, als dass sie ihn hätte zwingen können, sich zu waschen, doch Chuck störte das herzlich wenig. Foggy Banks und seinesgleichen waren das Mark des Nordsternstaates. Wäre Alaska nur von Männern wie Foggy bevölkert, wäre Chuck nicht so sehr darauf versessen, hier wegzukommen. Diesen Gedanken hatte er schon öfter gehabt. Es waren die anderen, die armseligen Bürokraten, die aufgeblasenen Ölmänner, die Ökofreaks, die irren Hydrokulturfans, die Liberalen, die Ostküsten-Grünen und die Pseudokenner, die ihm Alaska so unerträglich machten.
Mit einem, wie er hoffte, breiten, großherzigen Lächeln auf den Lippen spazierte Chuck zu Foggy Banks hinüber.
«Schön, Sie zu sehen, Boss», sagte Banks, wischte sich die Hände an einem schmierigen Lappen ab und schlug mit seiner riesigen, öligen Pranke in Chucks saubere, erheblich zartere Hand ein. «Tut mir echt leid, aber ein Notfall hat mich ’ne ganze Weile aufgehalten, und jetzt bin ich
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