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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie McGrath
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ein bisschen im Verzug.»
    Chuck bemühte sich, sein Lächeln nicht zu verlieren. Er wusste, dass er eigentlich nachfragen sollte, was es mit dem Notfall auf sich hatte, aber ihm fehlte die Energie dazu.
    «Geben Sie mir noch zwanzig Minuten?», fragte Banks.
    Chuck nickte, ging zum Verwaltungstrakt hinüber, schüttelte allen, mit denen er sich gut stellen musste, die Hände, lieferte seinen Flugplan ab und ließ sich die neueste Wettervorhersage geben. Es sollte bei leichter Bewölkung bleiben, dazu wechselnder Wind der Stärke drei. Niederschläge waren nicht zu erwarten. Für Ende März das ideale Flugwetter.
    Er bat darum, einen freien Tisch belegen zu dürfen und begann, die Rede durchzugehen, die er auf der Siegesfeier zum Iditarod-Rennen halten wollte. Doch er konnte sich kaum konzentrieren, weil er in Gedanken immer wieder bei den Ereignissen der letzten Tage war. Das Blockhaus erschien ihm inzwischen wie eine groteske Verirrung, in die er sich hatte hineinziehen lassen, ein monströses, hydraköpfiges Gebilde, in dessen Zentrum lauernd Tommy Schofield saß. Wie erleichternd zu wissen, dass der Kerl tot war. Schofield war schon immer ein Gauner gewesen, ein Verlierer mit Ambitionen. Er dachte zurück an die Zeit – wie weit das inzwischen weg war –, als er sich an Marsha rangemacht hatte! Ha! Chuck gönnte sich den Luxus, das glänzende, verschwenderische Schwert der Macht zu betrachten, das er in den Jahren, die darauf folgten, über Schofields Kopf geschwenkt hatte. Doch dann riss ihn etwas unsanft aus seiner Träumerei, eine unbequeme, kleine Ermahnung daran, wie schnell und mit welch unglaublicher Unbarmherzigkeit Marsha Schofields Schicksal beschlossen hatte. Chuck stand auf, holte tief Luft und versuchte, das Gefühl wieder umzudrehen, indem er sich einredete, wie sehr er selbst davon profitiert hatte. Nie in seinem Leben hatte er den Weg zur Macht deutlicher vor sich gesehen.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. Banks war inzwischen sicher fertig. Auf dem Rückweg zur Maschine gelang es ihm, das wunderbare Gefühl seiner weit vor ihm ausgebreiteten Zukunft wieder zurückzuholen.
    An der Stationair stand ein großer Kerl im Blaumann und zog die Muttern der Seitenhaube fest. Er schenkte Chuck ein strahlendes Lächeln und streckte ihm eine saubere Hand entgegen.
    «Bürgermeister Hillingberg, was für eine Ehre, Sie kennenzulernen. Sie haben meine Stimme bei der Gouverneurswahl, Sir. Foggy musste schon wieder weg, also hat er mich gebeten, die letzten Kleinigkeiten für ihn zu erledigen. Es ging nur noch ums Saubermachen. Er wollte Sie nicht noch länger warten lassen.»
    Chuck entspannte sich. Er hatte im Augenblick das Gefühl, als wäre die weit vor ihm ausgebreitete Zukunft nur noch einen kurzen Flug entfernt. Heute Abend würde er vor laufenden Kameras mit dem Sieger des härtesten, renommiertesten Hundeschlitten-Rennens der Welt den Champagner köpfen und die mit Sicherheit wichtigste Rede seiner Karriere halten. Er öffnete die Kabinentür, warf seine Unterlagen auf den Sitz und reckte Foggy Banks’ Kumpel den erhobenen Daumen entgegen.
    Dreißig Minuten später flog er bei bestem Wetter in 15 000 Fuß Höhe über Talkeetna. Vor ihm glitzerten die Konturen des Denali in der Sonne. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Chuck das Gefühl, als hätten er und der Berg etwas gemeinsam, als wären sie Seelenverwandte. Er musste über sich selbst lachen. Okay, das klang jetzt schon etwas esoterisch. Was er meinte, war dieses Gefühl von Kraft, von Imposanz, von Erhabenheit. Die Maschine ruckelte durch eine unruhige Luftschicht. Vor ihm türmte sich auf gleicher Höhe eine große Kumuluswolke auf. Chuck warf einen Blick auf den Höhenmesser und beschloss, dass er ruhig ein bisschen tiefer gehen konnte, um der Wolke auszuweichen. Die Maschine sank ab, tauchte durch den untersten Wolkenrand und kam am anderen Ende in gleißendem Sonnenschein wieder heraus. Chuck zog am Höhenruder, um die Höhe zu korrigieren, doch nichts geschah. Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Es fühlte sich an, als hätte jemand Säure hineingekippt. Er schüttelte das Gefühl ab und mahnte sich zur Ruhe. Die Maschine flog in die nächste Wolke hinein und fing leicht an zu schlingern. Er zog das Ruder wieder nach oben, doch die Nase ging immer noch nicht wieder hinauf und die Maschine sank weiter. Sein Herz pochte, und ihm wurde schwindlig. Er wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte, aber das Gefühl von Unbesiegbarkeit

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