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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie McGrath
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starrte Edie mit verschleiertem Blick lange an. Sie war unverkennbar mit starken Medikamenten behandelt worden. Ihre Bewegungen waren in etwa so lebhaft wie die einer toten Robbe.
    Edie zeigte kurz ihren Ausweis. «Was dagegen, dass wir uns ein bisschen unterhalten?»
    TaniaLee sagte nichts und wandte sich wieder ihrer Illustrierten zu. Sie las nicht darin, wie Edie sehen konnte, sondern betrachtete eingehend die Bilder. Ihre Hand zitterte, und sie hatte einen scharfen metallischen Geruch an sich. Den hatte Edie schon früher an verstörten Menschen bemerkt, in Autisaq hatte sie ihn ein, zwei Mal an Frauen mit postnatalen Problemen wahrgenommen. Ein hormonelles Ungleichgewicht, sagten die
qalunaat
-Ärzte. Das mochte ja stimmen, doch die Ältesten hatten eine andere Erklärung. Sie sagten, die Mutter müsse in die Geisterwelt gehen und Anspruch auf den Geist ihres ungeborenen Kindes geltend machen. Und gelegentlich verirrte sich eine Frau auf dem Rückweg in die sichtbare Welt.
    «TaniaLee.»
    Das Mädchen sah auf, aber mit demselben abwesenden Gesichtsausdruck.
    «Ich bin nicht hier, um dir Schwierigkeiten zu machen.»
    TaniaLee kniff die Augen ein wenig zusammen, und in ihrem Kopf schien sich ein Gedanke zu bilden, der es aber nicht bis über ihre Lippen schaffte. Schließlich fragte sie: «Du Yupik?»
    «Mein Volk lebt weit oben im Norden», sagte Edie.
    «Arbeitest du bei Safeway?»
    «Nein, TaniaLee. Warum fragst du?»
    Das Mädchen antwortete nicht, sondern blätterte die Seite in ihrer Illustrierten um und zeigte auf einen Filmstar.
    «Bist du eine Freundin von ihr?»
    «Äh, nein. Du?»
    «Ja», sagte sie, «ich bin mit allen befreundet, sogar mit Gott.»
    «Sicher.» Edie hatte kein gutes Gefühl dabei, mit dem Mädchen ihr Spiel zu treiben, aber was blieb ihr anderes übrig? «Hat Gott dir dein Baby genommen, TaniaLee?»
    TaniaLee schüttelte den Kopf.
    «Die Altgläubigen haben mir mein Baby genommen. Sie sind gekommen und haben es mitgenommen. Ich konnte nichts dagegen machen.» Ihre Stimme war vollkommen tonlos. Entweder war das die Wirkung der Medikamente, oder man hatte es ihr eingeredet. Vielleicht beides.
    «Warum haben sie das getan, TaniaLee?» Dies so sanft, wie sie konnte.
    «Weil sie Teufelsanbeter sind.» Das Mädchen starrte jetzt in die Ferne.
    «TaniaLee, kannst du mit mir über Lucas sprechen?»
    «Bist du meine Schwester?»
    «Nein. Aber was du durchmachst, das verstehe ich besser, als du denkst.» Edie nahm die Hand des Mädchens. «Hast du Angehörige? Besuchen sie dich hier?»
    Das Mädchen sah zu Boden, dann richtete sie den Blick auf Edie und sagte: «Ich werde viele Babys kriegen.» Edie lächelte aufmunternd. «Der Teufel will sie ja nicht alle. Ein paar darf ich behalten.» Ihr Gesicht zog sich in Falten. «Sie haben ihn mir weggenommen.»
    «Kannst du mir sagen, wie sie aussahen, die Leute, die dir dein Baby weggenommen haben, kannst du sie beschreiben?»
    TaniaLee runzelte die Stirn. «Ich weiß nicht, Fonseca hat’s gesagt.»
    «Fonseca hat gesagt, dass die Altgläubigen dein Baby geholt haben?»
    «Ja, die waren das, die haben ihn mir weggenommen.»
    Edie nahm jetzt beide Hände des Mädchens. Sie waren klein und zitterten, die Nägel waren bis aufs Fleisch abgekaut.
    «Wer ist Fonseca, TaniaLee?»
    Ein schwaches Lächeln huschte über die Lippen des Mädchens. «Mein Mann.»
    In diesem Moment kam die Pflegerin. Sie bedachte Edie mit einem kalten, strengen Blick. «Terri braucht jetzt Ruhe.»
    Edie nickte und drückte Terri die Hand.
    An der verschlossenen Tür wurde die Pflegerin milder und warf ihr einen kollegialen Blick zu. Wir tun alle nur unsere Arbeit, ist nicht immer leicht.
    «Haben Sie bekommen, was Sie brauchen?», fragte sie.
    «Sie sagt, sie ist verheiratet, stimmt das?»
    «Terri sagt eine ganze Menge. Momentan ist schwer zu erkennen, was wahr ist und wann die Krankheit aus ihr spricht. Die meisten von ihnen kommen nach und nach zur Ruhe. Wenn Sie in ein paar Wochen wiederkommen, kann sie wahrscheinlich mehr erzählen.»
    «Haben ihre Angehörigen sie besucht?», fragte Edie.
    «Die Familie wurde nicht verständigt.» Die Pflegerin sah sie misstrauisch an. «Das hat die Polizei so angeordnet, das müssen Sie doch wissen.» Die Rezeptionistin musste Edie auf der Station angekündigt haben.
    «Natürlich.» Edie schenkte der Frau ein dünnes Lächeln. «Lediglich Routinefragen.» Die Miene der Pflegerin entspannte sich. «Eins noch: Ich möchte Sie um Ihre

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