Zeig keine Angst!
Familie. Oder besser gesagt, vor meiner Schwester.« Sie sieht mich nachdenklich an. »WeiÃt du, die Freunde, die man im Leben hat, kann man sich aussuchen, aber seine Familie erbt man. Wenn sie nett ist, hat man Glück. Aber wenn sie böse ist, hat man ernste Probleme.«
»Und Sie haben ernste Probleme.«
»Ich hatte welche. Bis ich Jacob wiedergefunden habe.«
Ich höre ein Auto drauÃen auf der South Street. Ich springe auf, ziehe den Vorhang beiseite und schaue raus.
»Du bist sehr schreckhaft«, sagt sie.
»Sie wissen, warum.«
»Diese Männer sind nicht an mir interessiert. Und, wie gesagt, die kümmern mich nicht. Ich mache mir bloà Sorgen um dich.«
Ich checke die StraÃe. Das Auto ist schon weitergefahren, ohne anzuhalten. Ich ziehe den Vorhang wieder zu.
»Erzählen Sie weiter«, sage ich.
»Jacob ist mein Zwillingsbruder«, sagt sie. »Und mein bester Freund auf der Welt.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er schläft nebenan.«
Ich blicke zur Tür.
»Er wacht nicht auf«, sagt sie. »Ihn weckt nichts auf. Er hatte schon als Kind einen sehr festen Schlaf. Ich könnte diese Waffe abfeuern und er würde es nicht hören.«
Ich schaue zu ihr zurück.
»Was ist mit den anderen Zimmern?«
»Die sind leer.«
»Alle?«
»Ja. Im ganzen Gasthaus ist niemand auÃer mir und Jacob.«
»Ist er der Besitzer der Krone?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Das Gasthaus gehört Freunden von ihm, die er aus Dublin kennt. Sie wohnen ein paar Häuser weiter. Jacob hilft in der Bar und im Restaurant aus. Dafür kann er hier umsonst wohnen und essen. Und ich jetzt auch. Noch ein paar Tage jedenfalls.«
»Wissen diese Leute, dass die Polizei nach Ihnen sucht?«
»Ja.«
»Und Jacob?«
»Er natürlich auch.« Sie drückt wieder meine Hand. »Ich wusste das bereits, bevor ich hierherkam. Ich höre auch Radio, weiÃt du.« Schwer atmend lehnt sie sich auf die Kissen zurück. »Deshalb wusste ich, dass du kommen würdest.«
»Das konnten Sie nicht sicher wissen.«
»Doch.«
»Warum?«
Sie dreht den Kopf zu den Vorhängen.
»Weil sich hinter deiner rauen Schale ein groÃes Herz verbirgt.«
Ich schweige. Ich weià nicht, was ich sagen soll.
»Auch wenn du es nicht glaubst, du hast ein groÃes Herz«, sagt sie. »Du leidest unter dem, was du getan hast. Du sorgst dich um mich. Und wahrscheinlich gibt es noch andere Menschen, um die du dich sorgst.«
Ich denke an Jaz. Ja, Bigeyes. Ich denke an Jaz.
»Meine Geschichte ist schnell erzählt. Ich besitze einen Bauernhof im Süden Irlands. Nur einen kleinen, aber mit sehr fruchtbarem Land. Ich habe ihn von meinen Eltern geerbt und mein Leben lang bewirtschaftet.«
»Haben Sie einen Mann?«
»Nein. Ich war nie verheiratet. Ich wollte nie heiraten. Die Leute, die ich brauchte, habe ich angeheuert. Und Jacob hat mir auch viel geholfen. Wir stehen uns sehr nahe, weiÃt du? Wie gesagt, er ist mein bester Freund auf der Welt. Er hat fast sein ganzes Leben lang bei mir auf dem Hof gewohnt. Und der Betrieb ist immer gut gelaufen, keine Frage. Aber ich habe keine Kinder, denen ich ihn hinterlassen könnte.«
»Können Sie ihn nicht verkaufen?«
»Das könnte ich schon.« Sie macht eine Pause. »Aber ich will ihn Jacob vermachen.«
»Will er ihn denn?«
»Oh ja. Sehr gern sogar. Er liebt diesen Bauernhof. Deshalb habe ich in meinem Testament festgelegt, dass er ihn bekommen soll, wenn ich sterbe.«
»Und wo liegt das Problem?«
»Das Problem sind meine Schwester Luisa und ihr Mann. Und die Leute, die sie angeheuert haben, um für sie die Drecksarbeit zu erledigen.«
Wieder ein Auto drauÃen. Diesmal schaue ich nicht raus, sondern horche nur. Es bleibt direkt unter dem Fenster stehen, mit laufendem Motor. Mary beobachtet mich genau und sagt nichts. Der Motor läuft immer noch im Leerlauf, dann heult er plötzlich auf, und das Auto rast davon.
»Erzählen Sie weiter«, sage ich.
Sie sieht mich fragend an.
»Willst du das wirklich?«
»Klar. Ich will Ihre Geschichte hören.«
»Luisa ist die jüngste von uns dreien. Und sie ist ein echtes Biest. Nichtsnutzig, gierig, launisch, fast ⦠ich sage es nicht gern â¦Â«
»Böse«, murmele ich.
»Ja. Das ist sie wohl. Jacob will nichts mit ihr zu tun
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