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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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war nicht Motorrad gefahren. Oder doch? Er schluckte, schämte sich seines Unwissens. So viele Jahre, so viele verschwendete Jahre. Vertan mit einer Karriere, die keine war und werden konnte, und mit einer alten, hässlichen Frau, die seine Sucht nach Erfolg mit zahllosen Versprechen geschürt und ihn dafür mit Sex hatte bezahlen lassen. Bei den Gedanken an Edith musste er würgen. Ihr Körper, die schlaffen Brüste, das aufgequollene Gesicht mit den Tränensäcken. Doch konnte er ihr Vorwürfe machen? Ihre sexuelle Gier war auf seine Karrieregier getroffen. Er hatte Rollen gestohlen, Kollegen betrogen, sie hintenherum angeschwärzt. Dass es eine Zeit gegeben hatte, in der er Edith wirklich begehrt hatte, vor Lene, daran konnte er sich kaum erinnern. Alles vor Annika war Leere. Illusion.
    Ein paar Männer liefen zu dem Polizisten mit dem Helm. Sie trugen alle dieselben Umhänge, wirkten wie Mitglieder einer Verschwörung.
    Nein, dachte er, das
Danach
ist Illusion. Mein ganzes Leben. Ein schlechtes Theaterstück mit noch schlechteren Darstellern. Und der mieseste bin ich selbst.
    Als Marius ihn zum ersten Mal angesehen hatte, aus winzigen Augen, seine Haut noch ganz verschrumpelt und feucht, zwischen weißen Laken und aufgeregten Hebammen, hatte er nichts gespürt. Er hatte das Baby in den Arm genommen und an Annika gedacht. Hatte Marius ein Schlaflied vorgesummt und um seinen Engel mit den Sommersprossen geweint. Gespielt hatte er nie mit dem Jungen, das hatte er Lene überlassen. Als acht Jahre später Rebecca zur Welt kam, war es noch schlimmer. Die Ähnlichkeit mit Annika brachte ihn fast um den Verstand. Er floh, er heulte, hätte Lene schlagen mögen, wenn sie fragte, was er essen wollte, wo er war, was er vorhabe und ob er, wenn er wieder schlaflos im Bett lag, eine ihrer Schlaftabletten wolle. Er stritt mit seiner Frau, die ihm immer vergab und ihn unterstützte, wenn er irgendwelche viel zu anspruchsvollen Rollen lernte und beim Vorsprechen wieder und wieder auf die Schnauze fiel.
    Fünfmal, zehnmal, zwanzigmal wollte er davonlaufen. Vor Lenes Überliebe und später vor ihren subtilen Vorwürfen, weil er ihre Gefühle nicht im selben Maß erwiderte, vor ihrem Reichtum, den Kindern, die er nie hatte lieben können. Doch da war dieses Versprechen. Am dreiundzwanzigsten Mai 1993 , nachdem er allein das getan hatte, was weder Lene noch Uwe über sich gebracht hatten. »Ich bin an deiner Seite, Lene. Ich liebe dich. Ich werde zu dir stehen, immer. Bis zu meinem Tod. Das ist ein Schwur für ewig.«
    Seine Faust donnerte gegen den Baumstamm, Millionen Tropfen fielen aus der Baumkrone auf sein Haar und in seinen Kragen.
    Seine Worte zu Lene, ausgesprochen, nachdem er ohne Annika zurückgekommen war und Uwe schnell seine Hand aus Lenes gezogen hatte. Wie zwei unschuldige Kinder hatten sie dort gesessen, auf dem Boden von Annikas Zimmer, daneben der Teddybär. Günthers Schuhe hatten erdige Spuren auf dem hellen Teppich hinterlassen. Die hatte er gesehen. Den Rest nicht. Wie hatte er nur so blind sein können, so naiv! Da konnte Uwe ihm erzählen, was er wollte.
    Die Männer gingen weiter. Den Helm packten sie in eine transparente Tüte. Die Hunde gingen mit ihnen, und er atmete auf. Regen. Er hielt sein Gesicht in das herabprasselnde Wasser. Es hatte ihn gerettet.
    Am Waldrand erklang ein Motorengeräusch, er hörte Wasser spritzen und Reifen knirschen, und durch das Unterholz erkannte er zwei blau-weiße Kastenwägen. Mannschaftsfahrzeuge der Polizei.
    Auf Höhe der Kreuzung, an der Marius gelegen hatte, kniete er sich ins Gestrüpp, faltete die Hände. An Gott glaubte er schon lange nicht mehr, aber er musste irgendwie Abbitte leisten. Jemand musste ihm diese Schuld von den Schultern nehmen. »Gott«, betete er, »lass mich Rebecca finden. Meinen Engel, meine Annika.«
    Er stand auf. Schüttelte sich.
Rebecca, Annika, Annika, Rebecca.
Zwei Mädchen – ein Engel. Ich beginne zu phantasieren!
    Heute Vormittag bei Uwe, da war er sich so sicher gewesen. Uwe musste der Vater von Marius sein. Aber konnte er seiner Erinnerung überhaupt trauen? Sich selbst noch trauen? Seine Wahrnehmung spielte verrückt! Sogar diese Frau da, die mit der Katze vor der Tür gestanden hatte … Sogar da glaubte er schon, dass er sie kannte. Das war doch verrückt! Er war sicher, sie im Theater gesehen zu haben. Mit Kommissar Ehrlinspiel. Vielleicht … ja, so musste es sein! Sie war auch von der Polizei. Sie schnüffelte herum, ohne ihre

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