Zeig mir den Tod
Katzen drehten sich grummelnd um und schliefen weiter. Dem Hund fehlte ein Hinterlauf, und den Verlust schien er paradoxerweise mit einer Überdosis an Zuneigung auszugleichen. Er legte den Kopf auf Uwes Schenkel und blickte mit glänzenden Augen zu ihm auf.
Uwe kraulte seine Schnauze. Wartete.
Um Viertel vor elf stand er auf. Setzte sich. Stand auf.
Um elf Uhr schüttete er den kalten Tee ins Spülbecken.
Kurz vor halb zwölf hatte er sich wieder beruhigt.
Tief einatmen. Ausatmen.
Die Stiche ließen nach. Vermutlich bildete er sich das alles ohnehin nur ein.
Noch bevor der Lichtkegel über das Kupfergeschirr auf dem Bord wanderte, stellte Streuner die Ohren auf. Ein leises Motorengeräusch wurde lauter, verstummte, dumpf schlug eine Tür zu.
Gleich darauf klackerten energische Schritte die Treppe herauf. Sie ging schneller als sonst. Und lauter.
»Es geht los«, flüsterte er Streuner zu.
»Er war grandios!« Licht fiel vom Flur in die Küche, und schon warf Edith ihre Handtasche auf den Tisch.
Streuner winselte.
Ihr Gesicht war gerötet. »Meine Drohung hat offenbar gewirkt!« Schwungvoll streifte sie die hochhackigen Schuhe von ihren Füßen, und der eine schlitterte über die dicken Eichenbohlen bis neben Streuners Trinknapf.
Uwe grinste. »Der arme Teufel.« Er kannte seine Frau. Wenn sie bei den letzten Proben wütend war, würde das Stück ein Riesenerfolg. Und den verdankte das Ensemble zum großen Teil ihr. Bis jedes Detail perfekt lief, war sie hinter ihren Leuten her wie das Böse hinter der armen Seele. So mancher Darsteller hatte nichts zu lachen, wenn es auf die Premiere zuging.
»Nein, nicht der Teufel. Faust!« Sie setzte sich.
»Assmann?« Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die kühle Wange. Sie roch nach Puder und Zigarettenrauch. »Kommst du wegen ihm so spät?«
»Ja. Zuerst dachte ich, er würde es versauen. Dachte, er hätte doch nicht die Nerven dazu. Aber dann …« Sie schüttelte energisch den Kopf, und ihr kurzes, fast graues Haar wippte leicht mit. »Er ist geradezu über sich hinausgewachsen!«
»Hast du geraucht?« Uwe zog einen Mundwinkel nach oben. Es kostete ihn Mühe. Immer dasselbe Thema. Seit Monaten. Assmann, der endlich eine bedeutende Rolle spielte. Assmann, der zeigen konnte, wer er wirklich war. Assmann, den sie groß rausbringen würde.
»Ach, verflucht! Nur eine.«
»Erzähl.« Assmann, der hoffentlich bald in Wien war. Dem besten Theater der Welt. Weit weg. Er holte ihr einen frischen Becher Tee.
Edith trank und sah ihn über den Rand des Bechers an.
Wie faszinierend sie noch immer ist, dachte er, und wie fordernd ihre türkisfarbenen Augen blicken und die Einsprengsel darin funkeln, wenn der Zorn sie packt.
»Günther ist auf die Bühne gestürmt. Mitten während des
Prologs im Himmel.
Ohne Kostüm, ungeschminkt. Steht da plötzlich zwischen den Erzengeln. Er war noch nicht einmal dran!« Ihre linke Wange zuckte.
Schön hatte er Edith nie gefunden. Ihre Haut war schon matt gewesen, als sie vor dreißig Jahren Nacht für Nacht durch die Szenekneipen gezogen waren, und die Tränensäcke unter ihren Augen hatten schon an ihrem ersten Abend zu ihr gehört. Dem Sommerabend auf der Freilichtbühne, an dem sie sich als Johanna von Orleans anmutig wie eine Katze über die Bühne bewegt, die Arme in seine Richtung gestreckt hatte und als ihr türkisfarbener Blick und ihre klare Stimme direkt in sein Herz gedrungen waren.
Ihr habt mich kindisch, klein und schwach gesehn, Ihr liebt mich, doch Ihr betet mich nicht an!
Irrtum, dachte er jetzt und lächelte. Ich liebe dich,
und
ich bete dich an. Deinen freien Geist, deine Eloquenz, dein Selbstbewusstsein und deine Leidenschaft für dein unabhängiges Leben. Und genauso die Nächte, in denen du erschöpft über neuen Manuskripten im Sessel einschläfst, um mich einige Stunden später wach zu rütteln und eine Massage zu fordern.
»Und gestottert hat er.« Edith seufzte. »Wie ein Anfänger beim ersten Vorsprechen.«
»Wuff.« Streuners Schwanz klatschte auf den Boden.
»Guter Junge.« Uwe beugte sich zu Edith. »Und dann?«
»Ich hab ihn rausgeschickt. Und Tom als Faust eingesetzt.«
Er schob seine Hand auf Ediths Schenkel, zeichnete das grüne Changieren ihres Rocks nach. »Assmann spielt nicht?«
»Nach ein paar Minuten ist er über die Seitenbühne wieder reingestürmt. In wehendem Gehrock und Stiefeln. Stellt sich in den Lichtkegel neben Tom, hebt die Arme, die Stimme … und spielt. Aber wie!« Sie
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