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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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seiner Privatnummer an. »Wir brauchen eine Soko«, sagte er. »Minimum zwanzig Mann. Sofort.«

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    12
    S ein Schatten schiebt sich vor die Ritze neben der Tür, es wird dunkel in dem Räubergefängnis, in dem es eben noch dämmrig gewesen ist. Es gibt zwei Fenster, links und rechts, aber die Gendarmen haben von außen etwas davorgeklebt.
    Sie liegt auf der Bank mit dem weichen Polster, auf der Seite, zusammengekauert, das Gesicht ihrem Bruder zugewandt. Noch immer hat sie die Stiefel an, und die stinkende Decke ist über sie gebreitet. Es macht ihr nichts mehr aus. Sie ist so erschöpft. Vor ihrem Blick verschwimmen die Wände und der Tisch. Ihre Lider sind schwer, und die Augen fühlen sich trocken an und brennen.
    »Es wird Frühling!« Marius tritt von der Tür weg, und ein greller Sonnenstreifen fällt ihr ins Gesicht.
    Marius lügt, denkt sie. Es ist immer noch kalt. So kalt, dass sie sich schüttelt, aber nicht mit Absicht, das macht ihr Körper von ganz allein. Draußen kreischen die Vögel, und ein leises Rauschen ist im Hintergrund zu hören. Es riecht auch nicht nach Blumen und Gras, sondern nach Mäusekot und dem Gas aus dem Brenner. Becci schiebt die Hände zwischen ihre angewinkelten Knie, aber das Zittern hört nicht auf.
    Ihr Bruder bückt sich zu den Tüten. Dann richtet er sich langsam wieder auf. »Tu das nie wieder!«, presst er leise hervor. Er hält die leere Kekspackung in der Hand. Seine Lippen sind geschürzt und zittern, er sieht aus wie der kleine dünne Bernhard aus ihrer Klasse, der dauernd heult. Becci will nicht, dass Marius heult. Er ist doch groß! Aber vielleicht hat er wieder Bauchweh. Das hat er ihr neulich erzählt. Das hat er oft. Und Kopfweh auch.
    Sie sagt nichts, und er kommt zu ihr. Auch er ist viel zu dünn.
    »Wir müssen überleben, Rebecca!«
    »Aber wir haben keine Bananen-Rosinen-Cookies hier.« Die darf sie essen. Die werden extra für sie gebacken. Marius kann das super. Aber jetzt ist er böse. Sonst würde er nicht Rebecca zu ihr sagen. Rebecca sagt nur ihr Vater. Und die Lehrer. Aber Papa ist sowieso immer so komisch, entweder scheucht er sie weg, oder er läuft in seinem Büro oder im Wohnzimmer hin und her, macht große und kleine Schritte und breitet die Arme aus, kauert sich zusammen, macht sich dann groß und redet dabei ständig vor sich hin, als wäre niemand außer ihm da. Manchmal sitzt er auch vor dem Spiegel und schneidet Grimassen, dazu gibt er Zischlaute von sich oder summt und gurgelt. Das hat sie oft genug beobachtet. Für ihren tollen Lippenstift interessiert er sich nicht, auch nicht dafür, dass kein einziges Tier dafür ins Versuchslabor musste. Sie hat nämlich herausgefunden, dass es Listen im Internet gibt, auf denen alle Firmen ohne und mit Tierversuchen stehen. Marius ist die Listen mit ihr durchgegangen. Einmal hat sie mit ihm geschimpft, weil für seine Daunenjacke den Gänsen und Enten die Federn bei lebendigem Leib ausgerissen werden. Und wenn die Federn nachgewachsen sind, wieder. Und dann wieder. Wie für die Bettdecken auch. Wenn sie an das Schreien der Tiere denkt, kann sie es kaum aushalten. Oft sind es auch Federn von Gänsen, die für die Stopfleberproduktion verwendet werden. Da darf nur der Kopf zwischen den Stäben rausschauen, und ein Trichter wird tief in den Hals gebohrt, und sie werden mit Fressen vollgepumpt wie ein Luftballon mit Gas. Sie können sich keinen Zentimeter bewegen, so klein sind die Käfige. Und sie können nicht mal schreien wegen der Trichter im Hals. Marius hat versprochen, seine nächste Jacke ohne Federn zu kaufen. Sie ist so stolz darauf! Papa ist das egal. Ihn kümmern auch ihre Mäusebücher und die Vogelschule nicht, und noch nicht einmal die Schulhefte hat er sich je angesehen. Sie hätte so gern ein Tier zu Hause. Aber er würde es wahrscheinlich nicht einmal hören, wenn sie fragte.
    »Hörst du mir zu? Wir müssen überleben!« Er hält ihr die leere Packung vors Gesicht, seine Hand ist eine Faust.
    »Aber wir …« Sie will sagen, dass es nur ein Spiel ist. Doch ihre Stimme hört sich an wie das Scharren von Mäusefüßchen auf Holz, das weiß sie, weil sie einmal eine lebendige Maus im Baumhaus gefunden hat, und die hat die Nase mit den langen zitternden Schnurrbarthaaren in die Ecke gebohrt und mit den Vorderfüßen gescharrt, dort, wo Becci immer den Käse hingelegt hat.
    Marius setzt sich neben sie und legt die Hand auf ihre Stirn. Er reicht ihr eine Plastikflasche. »Trink, bitte.«

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