Zeilen und Tage
Gesellschaft von Versailles ablief.
Aus ihren Worten geht der Unterschied zwischen Liebe und Beobachtung neu hervor: Für den König allein macht sie eine Ausnahme, indem sie feststellt, er sei als einziger bei Hof ein wirklicher Mensch geblieben, indessen alle anderen ein mechanisches Ballett aufführen. Fünfzig Jahre vor Fichte hatte Madame de Pompadour das Prinzip der »Entfremdung« erfaßt: Es ist das Mitspielen der Humanautomaten im absurden Theater des Sozialen.
»Ich habe nicht das Vergnügen, mit Weisen umgeben zu sein, denn hier gibt es keine. Wir haben nur Automaten und nicht einen Menschen, ausgenommen den König.«
Vom Thema der heutigen Philosophischen Quartetts Formlos – haltlos – respektlos. Vom Verfall des öffentlichen Lebens geht Gefahr aus, da man nicht leicht erkennt, wie die Einladung zum kulturkritischen Lamentieren zu umgehen wäre
Daß eine Sendung, in der Thea Dorn und Matthias Matussek für das Tempo und die These sorgen, nicht mißlingen kann, versteht sich von selbst. Erste Reaktionen deuten an, das Publikum habe sich gut unterhalten und belehrt gefühlt.
In der Maske ließ ich mir nicht nur die üblichen matten Farben verpassen, damit die Nase nicht glüht und die Stirn nicht spiegelt, ich half mir selber auch über die Runden mit 2 mal 1000 Milligramm Aspirin und einer Handvoll Ibuprofen.
Bei Tisch hört man nach der Sendung, Feridun Zaimoglu betätige sich seit längerem als Proselytenmacher. Schon vor zehn Jahren habe er sich gerühmt, drei deutsche Mädchen »unter das Kopftuch gebracht« zu haben. Träfe das zu, müßte man seine Polemiken gegen die reale und vermeintliche Islamophobie in Deutschland noch einmal genauer lesen.
27. September, Wien
Kann man nach Österreich zurückkehren, ohne zu denken: wieder im Land der realen Canaillokratie?
Wer war es, der gesagt hat: »Es gibt keinen Menschen, mit dem ich nur eine Stunde verkehren würde, wenn er mich nicht wie seinesgleichen behandelte«? Es war Maximilian Harden, und zwar im Blick auf Bismarck, mit dem er überwiegend auf gutem Fuß stand. Seine Empfindlichkeit in Fragen der Ebenbürtigkeit verhinderte nicht, daß Harden zeitlebens ein König des Fehlurteils blieb – um von seiner Rolle als Spielball endogener närrischer Reflexe nicht zu reden. Etwa wenn er dozierte – es muß zu Anfang der zwanziger Jahre gewesen sein –, Rathenau und Stresemann seien »schlimmer wie ein Hakenkreuz«. Vermutlich dachte er, Leute, die »schlimmer wie« und solche, die »schlimmer als« sagen, verkehrten miteinander als ihresgleichen – oder wie ihresgleichen?
Gäste und Götter haben ein gemeinsames Herkunftsmerkmal. Sie beweisen, daß Menschen Wesen sind, die auf Besuch angelegt sind.
Früher stritt man über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissen. Bald werden wir über die Vereinbarkeit von Sozialdemokratie und Wissenschaft reden. Die letzte Front könnte sein: Theorie versus Korrektheit.
Essay
Der Punkt
Versuch über den Alien in der Geometrie
Ben Mezrich: The Accidental Billionaires. The Founding of Facebook , 2009. Einer der Vorteile, in unserer Zeit zu leben, bestehtdarin, daß man schon wenige Jahre später erfährt, wie es wirklich war.
We are such stuff solidarities are made on. Über Zusammengehörigkeitsvorstellungen in der Geschichte.
28. September, Wien
Mohammed Arkoun ist, wie man erst jetzt erfährt, vor 14 Tagen 82jährig in Paris verstorben. Er war der Kronzeuge für die These, daß der Islam eine liberalisierbare Überlieferung darstelle – vorausgesetzt, es gelingt, den Sündenfall der muslimischen Geschichte, die Geiselnahme der Religion durch die Politik, rückgängig zu machen. Seine Schrift Pour une critique de la raison islamique wartet darauf, auf breiter Basis rezipiert zu werden. Was Arkoun den Sündenfall nennt, war freilich keine spätere Abweichung von einer ursprünglichen unpolitischen Substanz, vielmehr scheint er mit der Stiftung des Islam selbst identisch, und nicht umsonst zeigt die offizielle Biographie des Propheten die Züge eines zelotisch-kriegerischen Expansionismus auf.
Der Begriff »Schicksal« läßt sich auf die Beobachtung anwenden, daß die Folgen einer bösen Tat eines fernen Tages zum Täter zurückkehren. In diesem Sinn durfte behauptet werden, Menschen würden sich ihr eigenes Schicksal bereiten. Während des metaphysischen Zeitalters mußte die Rückkehr der Taten zum Täter häufig den Umweg durch die Überwelt nehmen – sei es bei einem Jüngsten Gericht oder
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