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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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bevölkert hatten, verzweifelt auf der Suche nach Schiffen, die sie in eine bessere Welt entführten. Statt Bündeln mit ihren wenigen Habseligkeiten trugen die Menschen jetzt Pappbecher mit Starbucks-Kaffee in der einen und Aktentaschen in der anderen Hand. Frauen legten den Weg zum Büro in Rock und Turnschuhen zurück, die Pumps in die Handtasche gestopft. Ein völlig anderes Schicksal erwartete sie, mit fast endlosen Möglichkeiten.
    Das einzig Unbewegliche war Gabe, der direkt neben dem Eingang, in seine Decke gewickelt, auf dem Boden saß und die Schuhe beobachtete, die an ihm vorüberdefilierten. Noch immer hatte einer wie er nicht wirklich die gleichen Chancen wie diejenigen, die an ihm vorbeieilten. Obwohl er aus dem dreizehnten Stock betrachtet kaum größer aussah als ein Stecknadelkopf, konnte Lou erkennen, wie sein Arm sich bewegte, wenn er seinen Becher zum Mund führte – ganz langsam, um jeden Schluck auszukosten, obwohl {58 } der Kaffee inzwischen doch bestimmt kalt war – und wieder absetzte. Lou war fasziniert von diesem Mann. Nicht nur, weil er das Talent besaß, sich an jedes Paar Schuhe zu erinnern, das in dieses Gebäude gehörte – fast so, als handelte es sich um eine Excel-Tabelle –, sondern auch, und das war beunruhigender, weil der Mensch hinter den kristallblauen Augen ihm erstaunlich vertraut vorkam. Genau genommen erkannte Lou sich selbst in ihm. Gabe und er waren im gleichen Alter, und wenn man Gabe entsprechend zurechtmachte, konnte man ihn wahrscheinlich glatt mit Lou verwechseln. Er schien ein umgänglicher und kompetenter Mann zu sein, und eigentlich hätte Lou doch ganz leicht an seiner Stelle da draußen auf der Straße sitzen können, während die Welt an ihm vorüberzog. Und doch war ihr Leben so verschieden.
    In diesem Augenblick sah Gabe plötzlich nach oben, als hätte er Lous Blick gespürt. Dreizehn Stockwerke lagen zwischen ihnen, aber Lou hatte das Gefühl, dass Gabe ihm mitten ins Herz sehen konnte.
    Das verwirrte ihn. Da er an der Planung des Gebäudes beteiligt gewesen war, wusste er, dass das Glas von draußen reflektierte. Damit war es eigentlich unmöglich, dass Gabe ihn sehen konnte, auch wenn er noch so konzentriert zu ihm heraufstarrte, die Hand schützend über die Augen gelegt, als wollte er salutieren. Bestimmt hatte er sich irgendeine interessante Spiegelung angeschaut, oder vielleicht hatte auch ein Vogel seine Aufmerksamkeit erregt. Richtig, das musste der Grund sein. Aber Gabes Blick, der die ganzen dreizehn Stockwerke bis zu Lous Bürofenster überspannte, war so durchdringend, dass Lou unwillkürlich für einen Moment die Fakten beiseiteschob, lächelnd die Hand hob und Gabe seinerseits zuwinkte. Doch ehe dieser reagieren {59 } konnte, rollte Lou seinen Stuhl schnell weg vom Fenster und drehte sich mit klopfendem Herzen um, als hätte er etwas Verbotenes getan.
    Das Telefon klingelte. Es war Alison, und sie klang alles andere als fröhlich.
    »Bevor ich Ihnen sage, was ich Ihnen sagen muss, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich am University College Dublin meinen Abschluss zur Diplomkauffrau gemacht habe.«
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Lou.
    Sie räusperte sich. »Also. Alfred trägt braune Slipper, Größe 42. Anscheinend hat er zehn identische Paare davon und trägt sie jeden Tag, deshalb glaube ich, die Idee, ihm noch eins zu Weihnachten zu schenken, würde nicht so gut ankommen. Ich weiß nicht, von was für einer Marke sie stammen, aber das kann ich noch rausfinden.« Sie holte tief Luft. »Was die Schuhe mit den roten Sohlen angeht, hat Louise sich letzte Woche ein Paar gekauft, aber sie haben an der Ferse gescheuert, und sie hat sie zurückgebracht. Der Laden wollte sie nicht zurücknehmen, weil sie offensichtlich getragen waren und die rote Sohle schon ein bisschen abgewetzt war.«
    »Wer ist Louise?«
    »Mr Pattersons Sekretärin.«
    »Sie müssen bitte für mich herausfinden, mit wem sie letzte Woche von der Arbeit weggegangen ist. Jeden einzelnen Tag.«
    »Auf gar keinen Fall, das steht nicht in meiner Jobbeschreibung.«
    »Sie können früher gehen, wenn Sie es rauskriegen.«
    »Okay.«
    »Danke, dass Sie auf Druck so schnell nachgeben.«
    »Kein Problem, dann kann ich wenigstens meine Weihnachtseinkäufe machen.«
    »Vergessen Sie meine Liste nicht.«
    Obwohl Lou nicht viel erfahren hatte, wurde sein Herz plötzlich wieder von diesem seltsamen Gefühl überschwemmt, das andere Menschen ganz leicht als Panik identifiziert

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