Zeit deines Lebens
Ruhe brauchen«, antwortete Gabe.
»Was gibt Ihnen das Recht, das zu entscheiden?«
Gabe antwortete nicht, sondern lächelte einfach nur.
»Was ist denn so komisch?«
»Sie mögen mich nicht besonders, stimmt’s, Lou?«
Tja, das war direkt. Treffend, kein langes Herumgerede, und so etwas wusste Lou immer zu schätzen.
»Ich würde nicht sagen, dass ich Sie nicht
mag
«, entgegnete er.
»Meine Anwesenheit in diesem Gebäude beunruhigt Sie?«, vermutete Gabe.
»Beunruhigt mich? Nein. Sie können schlafen, wo Sie mögen. Das stört mich nicht.«
»Nein, das meine ich nicht. Bin ich eine Bedrohung für Sie, Lou?«
Lou warf den Kopf zurück und lachte. Natürlich wusste er, dass das Lachen übertrieben und unecht wirkte, aber das war ihm in diesem Augenblick egal. Und es hatte den gewünschten Erfolg, füllte den Raum, hallte durch die {186 } kleine Betonzelle mit den offenen Leitungen an der Decke, so dass sich Lous pure Anwesenheit größer anhörte als der Platz, den Gabe zur Verfügung hatte. »Ob Sie mich einschüchtern? Na ja, lassen Sie mich überlegen … « Mit einer ausladenden Geste deutete er auf das Kellerkabuff. »Muss ich wirklich mehr dazu sagen?«, antwortete er pompös.
»Oh, verstehe«, sagte Gabe mit einem breiten Grinsen, als hätte er gerade die Millionenfrage in einem Quiz richtig beantwortet. »Ich besitze weniger
Dinge
als Sie. Ich hatte ganz vergessen, dass das für Sie so wichtig ist.« Dann lachte er leise und knackte mit den Fingergelenken. Lou fühlte sich plötzlich sehr dumm.
»Nein, materielle Dinge sind gar nicht besonders wichtig für mich«, verteidigte er sich schwach. »Ich spende für mehrere Hilfsorganisationen und gebe dauernd irgendwelche Sachen her.«
»Ja«, bestätigte Gabe mit einem feierlichen Nicken. »Sogar Ihr Wort.«
»Was meinen Sie denn jetzt damit?«
»Sie versprechen irgendwas, ohne die Absicht zu haben, Ihr Versprechen zu halten.« Mit raschen Bewegungen stand Gabe auf und fing an, in einer Schuhschachtel auf dem zweiten Bord zu wühlen. »Macht Ihr Kopf Ihnen immer noch zu schaffen?«
Lou nickte und rieb sich müde die Augen.
»Hier.« Gabe hörte auf zu wühlen und hielt einen kleinen Pillenbehälter in die Höhe. »Sie fragen sich doch immer, wie ich von einem Ort zum anderen komme? Dann probieren Sie mal eine von denen hier.« Er warf Lou das Döschen zu.
Lou betrachtete es eingehend. Es hatte kein Etikett.
»Was sind das für Tabletten?«
»Ein bisschen Zauberei«, lachte Gabe. »Wenn man sie schluckt, sieht man plötzlich alles ganz klar.«
»Ich nehme keine Drogen«, sagte Lou bestimmt und legte die Pillen aufs Fußende des Schlafsacks.
»Das sind doch keine Drogen«, entgegnete Gabe und verdrehte die Augen.
»Was denn dann?«
»Ich kann es Ihnen nicht genau erklären, ich bin ja kein Apotheker, ich weiß nur, dass sie wirken. Nehmen Sie sie einfach.«
»Nein, danke«, beharrte Lou, stand auf und wandte sich zum Gehen.
»Die würden Ihnen aber wirklich helfen, Lou.«
»Wer sagt denn, dass ich Hilfe brauche?« Lou drehte sich um. »Wissen Sie was, Gabe, Sie haben vorhin vermutet, dass ich Sie nicht mag. Aber das stimmt nicht, Sie stören mich überhaupt nicht. Ich bin ein vielbeschäftigter Mensch, und was Sie machen, kümmert mich wenig, aber genau das ist es, was mir an Ihnen nicht gefällt – herablassende Bemerkungen wie die jetzt. Mir geht es gut, vielen Dank. Mein Leben ist vollkommen okay. Ich habe Kopfschmerzen, weiter nichts. Alles klar?«
Gabe nickte einfach nur, während Lou sich abwandte und zur Tür ging.
Doch da sagte Gabe: »Leute wie Sie sind –«
Lou wirbelte zu ihm herum. »Leute wie ich sind was, Gabe?«, blaffte er los, bevor Gabe seinen Satz vollenden konnte, bei jedem Wort ein wenig lauter. »Leute wie ich sind wie? Arbeiten sie vielleicht viel? Sorgen sie für ihre Familie? Sitzen sie nicht den ganzen Tag auf dem Arsch und warten, dass jemand vorbeikommt und ihnen etwas schenkt? Leute wie ich helfen Leuten wie Ihnen, geben {188 } euch Jobs, auch wenn es nicht einfach ist, und machen euer Leben besser … «
Hätte Lou das Ende von Gabes Satz abgewartet, hätte er gewusst, dass Gabe auf etwas ganz anderes hinauswollte. Gabe meinte Leute, die auf Konkurrenz aus waren – wie Lou. Ehrgeizige Leute, die nur Augen hatten für den Gewinn, nicht aber für die Aufgabe, die vor ihnen lag. Leute, die aus den falschen Gründen die Besten sein wollten und denen fast jedes Mittel recht war, um an die Spitze zu
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