Zeit deines Lebens
formuliert. Beides gleichzeitig.
»Ja, Sie waren allein, ganz allein. Allerdings nicht einsam, Sie schienen ganz zufrieden zu sein mit Ihrer eigenen Gesellschaft, aber Sie haben ständig irgendwas von einer Frau gemurmelt, das stimmt schon«, neckte ihn Gabe. »Anscheinend hatten Sie die junge Dame verloren und konnten sich nicht mehr erinnern, wo Sie sie hingesteckt hatten. Auf dem Boden des Müllcontainers war sie jedenfalls nicht.«
»Was habe ich gesagt? Ich meine, erzählen Sie es mir lieber nicht so genau, ich will nur wissen, ob es etwas war über … über … na, Sie wissen schon … Scheiße, wenn ich was mit dieser Frau angefangen habe, wird Ruth mich umbringen.« Tränen traten ihm in die Augen. »Ich bin so ein Riesenarschloch.« Frustriert kickte er die Kiste am Fußende des Schlafsacks weg.
Gabes Lächeln verblasste, denn er merkte, dass Lou es ernst meinte. »Nein, Sie haben nichts mit ihr angefangen«, versicherte er ihm mit Bestimmtheit.
»Woher wissen Sie das denn so genau?«
»Ich weiß es eben.«
Lou musterte ihn neugierig. Misstrauisch sogar. Obwohl er ihm andererseits vertraute. Gleichzeitig. In diesem Augenblick war
Gabe alles, was er hatte. Zwar hatte er ihn {236 } einfach hierhergeschleppt, aber er sorgte für ihn wie ein Vater. Allmählich begann er ihn zu mögen. Gabe war der einzige Mensch, der seine Lage verstand, aber gleichzeitig hatte er ihn auch in diese Lage gebracht. Eine gefährliche Beziehung.
»Gabe, wir müssen uns echt mal über diese Tabletten unterhalten. Ich möchte sie nicht mehr haben.« Lou holte den Pillenbehälter aus der Tasche. »Ich meine, letzte Nacht war eine Offenbarung, wirklich, in vielerlei Hinsicht.« Wieder rieb er sich die müden Augen und dachte an den Klang seiner besoffenen Stimme am Telefon. »Ich meine, gibt es mich jetzt zweimal?«
»Nein, jetzt sind Sie wieder einer«, erklärte Gabe. »Schokobrötchen?«
»Aber was ist mit Ruth?«, fuhr Lou fort, ohne auf das Angebot zu achten. »Wenn sie aufwacht, und ich bin nicht da, wird sie sich Sorgen machen. Bin ich einfach verschwunden?«
»Sie wird aufwachen und Sie sind weg, bei der Arbeit, genau wie immer.«
Lou verdaute die Information und beruhigte sich ein bisschen. »Aber das ist doch nicht richtig, das ergibt keinen Sinn. Wir müssen uns darüber unterhalten, woher Sie diese Pillen haben.«
»Sie haben recht, das müssen wir«, antwortete Gabe ernst, nahm die Dose aus Lous Hand und stopfte sie in seine Tasche. »Aber jetzt noch nicht. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Was meinen Sie damit – der richtige Zeitpunkt?«
»Damit meine ich, es ist gleich halb neun, und Sie haben noch ein Meeting, bei dem Sie unbedingt erscheinen sollten, ehe Alfred reinfegt und Ihnen die Show stiehlt.«
Sofort stellte Lou achtlos die Kaffeetasse auf einem Bord zwischen einem Verlängerungskabel und einem Stapel Mausefallen ab, sprang auf, vergaß alle Sorgen wegen der seltsamen Pillen und vergaß auch, sich zu wundern, woher Gabe von seinem Termin um halb neun wusste.
»Sie haben völlig recht, ich muss los. Wir reden dann später.«
»Gut, aber so können Sie sich beim Meeting wirklich nicht blicken lassen«, lachte Gabe, während er den Blick über Lous zerknautschten, schmutzigen Anzug gleiten ließ. »Außerdem riechen Sie bestialisch nach Kotze. Und nach Katzenpisse. Glauben Sie mir, ich kann das beurteilen, ich habe für so was inzwischen eine ziemlich gute Nase.«
»Das geht schon«, entgegnete Lou, schaute auf die Uhr und zog gleichzeitig sein Jackett aus. »Ich dusche schnell in meinem Büro und zieh meinen Ersatzanzug an.«
»Das geht leider nicht. Den Ersatzanzug trage ich, haben Sie das schon vergessen?«
Lou schaute Gabe an, und plötzlich fiel ihm wieder ein, wie er ihm am ersten Tag, als er ihm den Job angeboten hatte, seine Klamotten überlassen hatte. Garantiert hatte Alison die Sachen noch nicht wieder ersetzt, denn für diese Art von Umsicht war sie noch nicht lange genug seine Sekretärin.
»Scheiße! Scheiße, Scheiße und noch mal Scheiße!« Lou tigerte in dem kleinen Raum auf und ab, kaute nervös an seinen manikürten Nägeln, riss ein Stück ab und spuckte es auf den Boden, riss und spuckte.
»Keine Sorge, meine Putzfrau kümmert sich darum«, grinste Gabe amüsiert, während er zusah, wie die abgebissenen Nagelstückchen auf dem Betonboden landeten.
Lou achtete nicht auf ihn und tigerte weiter. »Die Läden {238 } machen erst um neun auf. Wo zum Teufel kriege
Weitere Kostenlose Bücher