Zeit deines Lebens
ich jetzt einen Anzug her?«
»Keine Angst, ich glaube, ich habe etwas hier in meinem Ankleidezimmer«, sagte Gabe, verschwand im Nebengang und kam mit dem neuen, noch in Plastik gehüllten Anzug wieder zum Vorschein. »Ich hab’s ja gesagt – man weiß nie, wann man einen neuen Anzug brauchen kann. Genau Ihre Größe und alles. Fast, als wäre er eigens für Sie gemacht worden.« Er zwinkerte Lou zu und fügte, während er ihm den Anzug überreichte, gespielt theatralisch hinzu: »Möge Ihre äußere Würde die innere Würde Ihrer Seele widerspiegeln.«
»Äh, ja, sicher«, erwiderte Lou unsicher und nahm den Anzug von Gabes ausgestreckter Hand.
Im leeren Aufzug betrachtete Lou sich im Spiegel. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Mann, der vor einer halben Stunde im Keller auf dem Fußboden aufgewacht war. Obwohl der Anzug, den Gabe ihm gegeben hatte, von einem gänzlich unbekannten Designer stammte – was Lou nicht gewohnt war –, saß er besser als alle anderen Anzüge, die er jemals getragen hatte. Das hellere Blau von Hemd und Krawatte brachte zusammen mit dem Marineblau von Jackett und Hose seine Augen zum Leuchten und ließ sie unschuldig und fast engelhaft wirken.
An diesem Tag entwickelten die Dinge sich wirklich prächtig für Lou Suffern. Er war wieder in seiner üblichen Topform, gepflegt und attraktiv, und seine von Gabe blitzblankpolierten Schuhe tänzelten so leicht und locker übers Pflaster wie eh und je. Sein Gang war beschwingt, seine linke Hand steckte leger in der Tasche, während die rechte {239 } lässig im Rhythmus seiner Schritte schwang, jederzeit bereit, ans Handy zu gehen und/oder die Hand eines anderen Menschen zu schütteln. Lou war der Mann der Stunde. Nach einem Telefongespräch mit seiner Frau und mit Lucy war er für seine Tochter der Vater des Jahres, und auch seine Chancen, es in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten zum Ehemann des Jahres zu bringen, hatten sich deutlich verbessert. Er war glücklich – so glücklich, dass er vor sich hin pfiff und nicht einmal damit aufhörte, als Alison ihm sagte, dass seine Schwester ihn sprechen wollte. Fröhlich griff er zum Telefon und parkte seinen Hintern auf der Ecke von Alisons Schreibtisch.
»Marcia, guten Morgen«, sagte er munter.
»Na, du hast ja heute anscheinend richtig gute Laune. Ich weiß, du bist ein vielbeschäftigter Mann, Lou, aber ich wollte dir nur mitteilen, dass wir die Einladungen zu Dads Geburtstag bekommen haben. Sie sind … sehr hübsch … sehr aufwendig … nicht das, was ich ausgesucht hätte, aber … na ja, jedenfalls haben inzwischen schon ein paar Leute angerufen und gemeint, sie hätten noch keine Einladung gekriegt.«
»Oh, dann sind sicher welche in der Post verlorengegangen«, meinte Lou. »Wir können einfach morgen noch welche losschicken.«
»Aber das Fest
ist
morgen, Lou.«
»Was?« Er runzelte die Stirn und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf den Wandkalender.
»Ja, morgen hat Dad Geburtstag«, erklärte sie, und ihre Stimme hatte wieder einen leicht panischen Unterton. »Die Einladungen kommen nicht mal mehr an, wenn du sie jetzt gleich in die Post gibst. Deshalb wollte ich mich nur vergewissern, dass es okay ist, wenn die Betreffenden einfach {240 } ohne Einladung aufkreuzen – ich meine, es ist ja nur eine Familienfeier.«
»Keine Sorge, schick uns die Liste einfach noch mal per E-Mail, die geben wir dann dem Türsteher. Alles unter Kontrolle.«
»Ich könnte ein paar Dinge mitbringen, die … «
»Alles unter Kontrolle«, unterbrach er sie mit fester Stimme.
Inzwischen beobachtete er, wie seine Kollegen den Korridor hinunter zum Konferenzzimmer eilten, Alfred ziemlich zum Schluss in seinem Blazer mit den großen Goldknöpfen, der aussah, als wollte er Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff werden.
»Was passiert denn auf der Party, Lou?«, fragte Marcia nervös.
»Was da passiert?« Lou lachte. »Ach, komm schon, Marcia, wir wollen doch, dass es für alle eine Überraschung ist.«
»Weißt du denn, was die vorhaben?«
»Ob ich weiß, was die vorhaben? Traust du meinen organisatorischen Fähigkeiten nicht, oder was?«
»Ich mach mir nur Sorgen, weil du bis jetzt jede meiner Fragen wiederholt hast, um mir auszuweichen«, entgegnete sie wie aus der Pistole geschossen.
»Natürlich kenne ich das Programm für die Feier! Glaubst du vielleicht, ich würde das alles Alison überlassen?« Wieder lachte er laut. »Alison kennt Dad überhaupt nicht, sie hat ihn
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