Zeit der Eisblueten
herumgelaufen und haben die Möbel, die Gemälde, die Kleidung in unseren Schränken und sogar das Innere des Kühlschranks, die Vorhänge, die Handtücher und leider auch Deine russische Ikone vollgesprüht. Einfach so zum Spaß. Ich habe die Ikone zu einem darauf spezialisierten Restaurator gebracht – kann aber noch nichts dazu sagen. Deine Gitarre ist nicht zu finden. Falls Du sie nicht mitgenommen hast, muss sie gestohlen worden sein.
Die Polizei sagt, wenn niemand in dem Haus wohnt, wird es wieder passieren. Hausbesetzer könnten reinziehen, alle möglichen anderen Scheußlichkeiten könnten geschehen. Ehrlich gesagt finde ich es schrecklich deprimierend, mich dort aufzuhalten, während Paul mich in London braucht, bis dieses Projekt abgeschlossen ist.
Ich habe im Krankenhaus angerufen und erfahren, dass Du im Anschluss an Deinen dreiwöchigen Urlaub noch um einen zusätzlichen Monat Arbeitsbefreiung gebeten hast (es wäre nett gewesen, wenn Du mir das mitgeteilt hättest, weil ich dann nicht Deine Sekretärin nach Deinen Plänen hätte fragen müssen).
Um weitere Katastrophen zu vermeiden, sollten wir uns bemühen, jemanden zu finden, der ein paar Wochen in dem Haus wohnt. Paul hat eine Nichte, welche die hiesige Universität besucht und in irgendeinem Schuppen untergebracht ist; sie würde mit Freuden einziehen. Sei doch bitte so freundlich und lass mich wissen, was Du davon hältst, damit ich die Dinge in Gang setzen kann. Das Haus ist gesäubert und neu tapeziert worden, und sie und ihre Freunde haben angeboten, ein wenig zu streichen und dergleichen.
Bitte schick mir so bald wie möglich eine E-Mail.
Isabel
»O mein Gott!«, schrie Miranda, nachdem sie den größten Teil des Briefes gelesen hatte, obwohl Dafydd den Inhalt mit der Hand abzuschirmen versuchte. »Das ist einfach furchtbar. Ich besuch dich nicht in England, wo sich solch ein Gesindel herumtreibt. Die arme Frau. Stell dir das vor«, wandte sie sich an ihren Bruder, »diese Kerle sind in das Haus von Dads Frau eingebrochen und haben all ihre Sachen mit Farbe besprüht.« Sie drehte sich wieder zu Dafydd hin. »Hatte sie viele Kleider?«
»Nein, sie war nie sonderlich daran interessiert, viel anzuziehen zu haben«, antwortete er mit angespannter Stimme, »aber sie sieht immer toll aus, selbst in einfachen Sachen.«
»Herr im Himmel, ich würde total ausflippen«, versicherte Miranda mitfühlend.
Mark seufzte laut und verdrehte die Augen, aber ein Funken Interesse an der Vorstellung eines Einbruchs mit beträchtlichem Schaden war zweifellos vorhanden. Er wirkte, als würde er gern ein paar Fragen stellen, müsse aber den Anschein von Gleichgültigkeit bewahren. Herablassend tätschelte er seiner Schwester den Kopf, dann stand er auf und ging zu Beanie, um sich mit ihm zu unterhalten. Offenbar war er ein regelmäßiger Kunde in diesem einzigen Restaurant, in dem ein überzeugtes veganes Schlüsselkind einen Imbiss zu sich nehmen konnte, während es darauf wartete, dass seine Mutter nach Hause kam. Es klang, als hätten sich die beiden viel zu erzählen.
Miranda plauderte weiter und berichtete von den Designerturnschuhen, auf die sie ein Auge geworfen hatte, und von den unterschiedlichen Methoden, mit denen sie sich das Geld für den Kauf beschaffen würde. Benommen versuchte Dafydd, ihr zuzuhören, während er das andere Ohr in Marks Richtung spitzte, um zu erfahren, was dieses sonst stumme Kind dem Mann im Kaftan zu sagen hatte. Ein anderer Teil von ihm kämpfte gegen ein starkes Gefühl des Untergangs, einer unabänderlichen Katastrophe und eines jähen Schwindens aller Zuversicht und Hoffnung. Sosehr er diesen kleinen Ausflug mit den nicht zueinander passenden Kindern genoss, konnte er doch kaum erwarten, sie wieder loszuwerden, um zu Hause anzurufen … Zu Hause? Sein Zuhause gab es nicht mehr.
KAPITEL
16
D IE S TRASSEN WAREN zugefroren, und eine dicke Schicht Pulverschnee hatte sich über das Eis gelegt. Die Wirkung glich der einer Bananenschale auf einem frisch gebohnerten Parkett. Dafydd zerrte die Schneeketten unter dem Rücksitz des alten Ford hervor und zog sie unter großer Mühe auf die Reifen. Mit einem furchterregenden Gerassel setzte er sich in Bewegung.
Während er sich auf dem Highway der Abfahrt zu Ians Hütte näherte, erinnerte er sich wieder an das Päckchen im Kofferraum. Es konnte nur für Ian bestimmt sein. Was hatte Sheila, das Ian wollte oder brauchte? Vielleicht war es etwas, das er sich ans Krankenhaus oder
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