Zeit der Eisblueten
entgangen, dass Ian ein wüster Alkoholiker ist. Er ist ein hoffnungsloser Fall … und ein jämmerliches Arschloch«, ergänzte sie mit einer kalten Verachtung, die Dafydd schockierte.
»Alkoholismus ist eine Krankheit, Sheila. Ich hätte gedacht, dass dir als Krankenschwester das bewusst ist.«
»Einen Teufel ist er das«, höhnte sie.
Sie standen im Flur. Sheila schlug auf ihre übliche Art die Arme übereinander und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Hast du McCready angerufen?«
»Nein, aber mein Anwalt steht mit ihm in Kontakt.«
Sheila blickte ihn ein paar Minuten lang schweigend an. Ihr Äußeres war anders als sonst. Ihre normalerweise makellos gebürsteten Locken waren wild zerzaust, und außer etwas Lipgloss, der ihren Mund feucht und schlüpfrig aussehen ließ, schien sie ungeschminkt zu sein. Sie trug abgetragene Jeans mit zwei Rissen am linken Oberschenkel, dazu ein enges T-Shirt, durch dessen verwaschenen Baumwollstoff sich ein spitzenbesetzter BH abzeichnete. Es war eine merkwürdige Bekleidung für sie, sehr zwanglos, fast schlampig, aber dennoch atemberaubend sexy.
Er überlegte, was sie sich dabei gedacht hatte, als sie sich so anzog, welches psychologische Manöver sie plante. Er konnte sehen, dass sie mit irgendeinem inneren Konflikt kämpfte, und er wusste, dass sie trotz ihres verführerischen Aussehens wütend und frustriert war. Aber anscheinend zögerte sie, ihre Laune an ihm auszulassen, obwohl sie noch nie derartige Hemmungen gehabt hatte. Schließlich ergriff sie das Wort.
»Willst du nicht wieder nach Hause fliegen?«, fragte sie in ruhigem Ton. »Es gibt keinen Grund für dich, es hinauszuzögern. Ich finde, dass wir uns auf die von McCready vorgeschlagene Summe einigen sollten.« Sie musterte ihn herausfordernd von oben bis unten und ließ ihre Augen dann in der Gegend um seine Gürtelschnalle verweilen.
Dafydd verspürte den heftigen Drang, sich zu verabschieden. Auf ihrem Territorium, allein mit ihr, fühlte er sich in Gefahr. Er hatte nicht vergessen, wozu sie imstande war. Sie war eine leibhaftige Teufelin, wunderschön anzusehen, faszinierend, sogar verlockend, bis sie ihre Bosheit und Verachtung über einem ausschüttete – oder noch Schlimmeres tat. Aber er musste diese Treffen mit Sheila durchstehen.
»Hier, ich hänge deinen Mantel neben die Lüftung«, sagte sie freundlich. Sie streckte die Hand nach seinem Parka aus, allerdings ohne sich vom Fleck zu rühren. Dann zerstörte sie die Illusion von der guten Gastgeberin, indem sie ihre Augen zu seinem Schritt hinabwandern ließ.
Dafydd spürte, dass sein Nacken und Hals schlagartig von einer tiefen Röte überzogen wurden, und er verfluchte sich, dass er dieses idiotische kleine Schauspiel zuließ.
»Darf ich dir eine Tasse Kaffee holen … oder möchtest du etwas Stärkeres?«, fragte sie lächelnd.
»Kaffee bitte«, erwiderte er mit einer Stimme, die so kühl wie sein Nacken heiß war.
»Mach’s dir bequem.« Sie schob ihn in Richtung Wohnzimmer und drückte ihm eine Ausgabe der Moose Creek News in die Hand.
Das Wohnzimmer war merkwürdig steril. Es fehlte an persönlichen Dingen; noch nicht einmal die Sachen der Kinder lagen dort herum. Er lehnte sich zurück, versuchte, sich auf einen Artikel über das Drogenproblem in der Stadt zu konzentrieren, und fragte sich dabei, ob die Kinder, seine Kinder, den Drogen vielleicht bereits ausgesetzt waren.
Einen Moment später hörte er, dass die Eingangstür geöffnet wurde. Er stand vom Sofa auf und ging zum Fenster. Instinktiv trat er einen Schritt zurück, als er Sheila bemerkte, die ihren Kopf vor dem herabfallenden Schnee mit einer Jacke schützte und den Kofferraum von Ians Auto öffnete. Er konnte nicht erkennen, was sie tat. Rasch wich er zurück und setzte sich mit heftig schlagendem Herzen wieder hin. Eine Bombe kam ihm in den Sinn, aber dann verwarf er den Gedanken mit einem Lächeln. Warum sollte sie ihn angesichts all der verlockenden Reichtümer umbringen? Eine tote Kuh konnte sie nicht mehr melken. Spionierte sie bloß herum? Es war jedenfalls merkwürdig.
Eine Minute später kam sie mit zwei Bechern zurück und setzte sich. Sie sah ihn prüfend an. In dem vom Schnee draußen vor dem Fenster reflektierten Licht wirkte sie müde. Dunkle Ringe überlagerten die kreideweiße Haut unter ihren Augen. Vielleicht war seine Anwesenheit in der Stadt belastender für sie, als er angenommen hatte. Sie nippte einen Augenblick lang schweigend an ihrem Kaffee, dann
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