Zeit der Eisblueten
fluchte laut und ging zur Rückseite des Autos.
Der Kofferraum hatte kein Schloss. Wusste Sheila das? Er öffnete ihn, entdeckte jedoch nichts außer einem Paar schimmelbedeckter Gummistiefel, einem platten Ersatzreifen und ein paar öligen Lumpen. Er hob jeden einzelnen dieser Gegenstände hoch, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken. Als er eine Ecke der feuchten Matte lüftete, mit welcher der Kofferraum ausgelegt war, fand er den Gegenstand. Es war keine tickende Bombe, sondern ein Päckchen mittlerer Größe, das in Luftpolsterfolie eingewickelt und mit Klebestreifen verschlossen war. Dafydd betastete es und spürte, dass es zahlreiche kleine rundliche Objekte enthielt, die sich beim Aneinanderreiben wie Glas anhörten. Er fragte sich, warum das Päckchen im Kofferraum lag und für wen es bestimmt war. Zunächst spielte er mit dem Gedanken, es zu öffnen, aber sein natürlicher Respekt vor dem Eigentum anderer ließ ihn das mysteriöse Päckchen dorthin zurücklegen, wo er es gefunden hatte. Er lenkte das Auto rückwärts aus der tückischen Straße hinaus und fuhr zu Tillies Hotel, um sich trockene Socken anzuziehen und das Mittagessen einzunehmen, wozu sie ihn zum Ausgleich für das verpasste Frühstück verpflichtet hatte.
Die drei saßen in Beanie’s Wholefoods & Cafeteria, einem Lokal, das offenbar in dieser vor allem aus Hinterwäldlern bestehenden Gemeinde nicht allzu viel Zulauf hatte, und vertilgten Beanies Bohnenburger. Sie blickten auf die Straße hinaus und beobachteten die Passanten, die jetzt richtiggehende Winterkleidung trugen und vorsichtig über die vereisten Fußwege schlurften. Kleintransporter mit riesigen Reifen bewegten sich schleichend voran, und vor Beanie’s standen ein paar mit hohen Schneehauben gekrönte Autowracks herum.
Sie waren die einzigen Kunden und wurden von einem jungen Mann bedient, vermutlich von Beanie persönlich. Er trug wallendes Haar und einen Kaftan, dessen Stoff seine langen Beine umrauschte und über den er ständig zu stolpern drohte. Miranda wandte ihr Gesicht ab, weil sie sonst möglicherweise in Kicheranfälle ausgebrochen wäre. Sie machte sich daran, ihren Burger zu verschlingen, als ihr etwas einfiel. Dann kramte sie in ihrer kleinen roten Lederhandtasche und überreichte Dafydd einen Umschlag.
»Meine Mom hat mich gebeten, dir den zu geben. Er wurde an unsere Postfachnummer geschickt, aber er ist für dich. Von wem stammt er?«
»Weiß deine Familie zu Hause nicht, wo du wohnst?«, fragte Mark spitz und beendete damit ein einstündiges Schweigen, in dessen Verlauf er sich in eine Zeitschrift über Musikinstrumente vertieft hatte.
»Nein, weiß sie nicht«, gestand Dafydd beschämt.
Er hatte fast jede Nacht im Stadium des Dahindämmerns an Isabel gedacht, ihr Gesicht heraufbeschworen, wie es vor dem Eintreffen des entscheidenden Briefes ausgesehen hatte, und in Gedanken ihren langen, schlanken Körper liebkost. Aber es war ihm nicht in den Sinn gekommen, ihr mitzuteilen, wo er war, zumal sie darauf bestanden hatte, dass er abreiste und sie bis zu seiner Rückkehr in Ruhe ließ. Isabel wusste, dass sie ihm jederzeit eine E-Mail schicken oder ihn über sein Handy erreichen konnte. Warum hatte sie das nicht getan? Dennoch war es unklug von ihm gewesen, ihr nicht für alle Fälle eine Kontaktadresse und Telefonnummer zukommen zu lassen. Plötzlich brannte er darauf, etwas von ihr bei sich zu haben, und wenn es nur Worte auf Papier waren.
»Wäre es unhöflich, das jetzt zu lesen?«, fragte er die Zwillinge.
»Nein«, antworteten sie unisono.
Er riss den Umschlag auf. Miranda rutschte näher an ihn heran und versuchte, den Brief über seinen Arm hinweg zu lesen.
Dafydd,
Du bist jetzt mehr als zwei Wochen fort, und ich habe nichts von Dir gehört. Ich dachte, Du würdest so anständig sein, mich zu kontaktieren und mir ein paar Hinweise darauf zu geben, was sich abspielt. Ich habe Dir eine E-Mail geschickt, aber sie ist zurückgekommen, deshalb sende ich diesen Brief an die Postfachnummer von Sheila Hailey, da Du mir Deine Adresse nicht gegeben hast.
Mir geht es übrigens verdammt schlecht, denn letzte Woche wurde in unser Haus eingebrochen. Alles ist durchwühlt und verwüstet worden. Über den Wintergarten hatten sie leichten Zutritt. Der Schaden geht in die Tausende. Die Polizei meint, es sei das Werk von Jugendlichen. Wie Du weißt, gibt es nicht viel Wertvolles zu stehlen, aber sie sind mit Spraydosen mit roter und orangener Autofarbe
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