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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Nadelbäumen bestandenes Waldland, und in der Ferne waren Hügel oder Berge zu sehen. Über den Gebäuden waberte die Hitze.
    Sie kamen an einem ausgedehnten Motel vorbei, einem instabilen Schindelgebäude. Seine niedrigen, wackeligen Hütten säumten die Straße, gefolgt von Colleen’s Café, das ebenfalls baufällig war. Das Auto sauste eine breite Hauptstraße entlang. Dafydd starrte in einer Mischung aus Bestürzung und Faszination auf seine Umgebung. Das war’s? Er hatte eine verblichene Ansichtspostkarte von der Stadt gesehen, die Dr. Hogg ihm zusammen mit der Arbeitsplatzbeschreibung zugesandt hatte. Das Foto hatte ziemlich exotisch gewirkt, ein echter, mit Schnee und Eis bedeckter subarktischer Außenposten. In einem Touristen-Informationsblatt hieß es, der Ort liege »mitten in einer eindrucksvollen Landschaft mit hohen Bergen, reißenden Flüssen und funkelnden Seen; endlose nördliche Wälder lichten sich zur arktischen Tundra hin«.
    Die Realität war eine Ansammlung aus hässlichen, staubigen, heruntergekommenen Häusern, die mitten in einen Tausende von Quadratkilometern umfassenden, trostlosen Wald gesetzt worden waren. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass es Spätsommer war. Jene weiße, unheimliche und geheimnisvolle Landschaft entstammte dem tiefsten Winter, wenn die Temperaturen auf fünfzig Grad unter null fielen. Dem würde er noch früh genug ausgesetzt sein.
    Marthas Wagen kam mit quietschenden Reifen neben einem seltsam grandios wirkenden Gebäude zum Stehen. Es hatte eine falsche Fassade, wie in der Kulisse zu einem Western. Die kunstvoll geschnitzten Fensterrahmen und die eleganten Balkone waren eine Täuschung aus billigem, in Form gegossenem Plastik, das nun aufplatzte und dessen Farbe verblichen war. Von vergoldeten Ketten hing ein Schild mit der Aufschrift: Klondike Hotel.
    »Da sind wir«, erklärte Martha mit einer Spur von Lokalstolz. »Könnten nichts Besseres kriegen … nicht in dieser Gegend.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Nun hören Sie mal zu, Doc. Wenn Sie irgendwann ein Taxi brauchen, bei Tag oder bei Nacht, dann rufen Se mich an, ja?«
    »Danke, Martha, aber ich gehe lieber überall zu Fuß hin. Es ist eine winzige Stadt.« Lachend zeigte er die Straße entlang. »Wann werde ich hier schon ein Taxi brauchen?«
    »Warten Sie’s ab«, spottete Martha. »Sie werden schon bald so sein wie alle anderen. Niemand geht hier zu Fuß. Es ist entweder zu heiß und zu staubig oder zu kalt und zu rutschig, oder Sie sind zu betrunken. Meistens wahrscheinlich Letzteres.« Ihre Stimme wurde ein wenig weicher, als sie den Zwanzigdollarschein annahm, ohne Wechselgeld herausgeben zu müssen. »Passen Sie auf sich auf, junger Mann. Ich meine es ernst. Diese Stadt ist nicht ohne.«
    Mehrere Männer lungerten vor den Plastikportalen des Klondike Hotels herum. Fast alle schienen eingeborene Kanadier zu sein. In der hellen Sonne wirkten sie vertrocknet und verschrumpelt; kleine, untersetzte, ärmliche Männer. Einige von ihnen waren offenbar betrunken, obwohl es erst drei Uhr nachmittags war.
    Als Dafydd seine Koffer zur Tür schleppte, sprang einer von ihnen vor und versuchte, ihm einen Koffer aus der Hand zu reißen. Irritiert von dem plötzlichen Angriff, wehrte sich Dafydd. Ein kurzes Gerangel folgte, bei dem beide Männer den Griff umklammerten und versuchten, dem anderen den Koffer zu entwinden. Die übrigen Männer, die an der Wand des Hotels lehnten, begannen zu kichern. Niemand machte Anstalten, sich einzumischen.
    »Ich will Sie nicht berauben, Mister«, rief der Angreifer und ließ plötzlich los. Dafydd verlor das Gleichgewicht, stolperte nach hinten und stürzte über seinen anderen Koffer, den er auf den Boden gestellt hatte. »Ich wollte Ihnen nur helfen«, sagte der Mann und blickte auf ihn hinab, wie er, alle viere von sich gestreckt, auf dem staubigen Bürgersteig lag. »Hier bekommen Sie ’nen guten alten nordischen Empfang.« Mit einem unverschämten Grinsen im dunklen Gesicht fügte er hinzu: »Aber das liegt ganz an Ihnen.«
    Dafydd sprang auf und klopfte den Staub von seinem Anzug. »Sie hätten etwas sagen können.« Er war sich sicher, dass der Mann ihn absichtlich hatte stolpern lassen.
    »Okay«, meinte der Mann. »Haben Sie ein bisschen Kleingeld übrig?«
    Dafydd schaute ihn einen Moment lang kalt an. Er war über die Konfrontation verärgert und fragte sich, ob diese Kerle ihn für einen durchreisenden Geschäftsmann und damit für Freiwild gehalten

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