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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Die Berührung kühlte die Haut unter seinem Hemd und ließ ihn erschauern. »Bitte«, fügte sie im Nachhinein hinzu, und ohne noch ein weiteres Wort an Ian zu richten, war sie verschwunden.
    Ian lächelte resigniert und zuckte die Schultern. »So ist Sheila«, seufzte er.
    Eine Gruppe massiger Frauen stürmte durch den Bogengang herein. Sie trugen Jeans, Schirmmützen und Karohemden und sahen aus wie weibliche Versionen typischer Holzfäller. Lärmend setzten sie sich an einen Nachbartisch.
    Ian warf den Kopf zurück und lachte über Dafydds erschrockenen Gesichtsausdruck. »Absolut nette Mädchen«, flüsterte er ihm warnend zu. »Sie können hier nicht allzu hohe Ansprüche stellen.«
    »Gut, dann erzählen Sie mir, wie man hier seine Freizeit verbringt«, raunte Dafydd.
    »Meinen Sie in Bezug auf Frauen oder allgemein?«
    »Ich meine allgemein.«
    »Wenn Sie an einer interessiert sind, können Sie mich vorher immer über sie befragen.« Brannagan zwinkerte ihm zu. »Ich sage Ihnen dann, ob sie’s wert ist.«
    Dafydd spürte wieder ein Unbehagen in sich aufsteigen. Okay, er war neu hier, aber er war nicht blöd. Zugleich wusste er, dass er sich nichts anmerken lassen durfte. Es konnte durchaus sein, dass er einen Verbündeten brauchte. Brannagan war ein Außenseiter wie er selbst, aber fraglos der Mann mit den erforderlichen Kenntnissen.
    »Erzählen Sie mir etwas über Moose Creek.«
    »Ach, Sie werden es schon bald herausfinden. Knapp über viertausend Seelen, etwa die Hälfte sind eingeborene Dene und Métis, ein paar Inuit und alle nur denkbaren weißen Eigenbrötler unter der Sonne. Eine ungute Mischung. Lebern wie Schweizer Käse. Wenn Sie keine Menschen mögen, gibt es hier jede Menge Bären – schwarze, Grizzlys …«
    »Wie viele Personen arbeiten im Gaswerk?«
    »So um die fünfhundert.«
    »Und der Rest … was machen die?«
    »Es gibt ziemlich viele Holzfällerarbeiten. Das Holz wird nur im Winter transportiert, wenn die Eisstraße offen ist. Das Neueste ist der Tourismus. Die Leute wollen auf die Jagd gehen oder mit dem Kanu über die Stromschnellen fahren.« Er zögerte einen Moment. »Sie können so ziemlich alles hier kaufen. Illegale Substanzen; alles, was Sie wollen.« Er hielt kurz inne, um sich einen Niednagel abzubeißen. »Ein bisschen Fallenstellerei … illegale Hundekämpfe … Sozialhilfe natürlich.«
    »Es sieht nicht gerade nach einem prosperierenden Ort aus.«
    »Hätte er sein können.« Mit plötzlicher Lebhaftigkeit lehnte sich Brannagan vor. »Vor drei, vier Jahren planten sie eine riesige Pipeline. Eine große Sache. Hier gibt’s genug Öl und Gas, um den gesamten Nahen Osten aus dem Geschäft zu werfen. Aber haben sie’s getan?«
    »Ich hab darüber gelesen. Muss ein ziemlicher Schlag gewesen sein.«
    »Und ob. Alle möglichen Blindgänger sind erwartungsvoll in den Norden geströmt. Fast wie ein Goldrausch. Ein paar von ihnen sind noch immer hier. Jeder hat darauf gehofft, einen Topf voller Gold zu bekommen, ohne viel dafür tun zu müssen. Warum, glauben Sie wohl, hat man dieses alberne Ding gebaut?« Brannagan machte eine höhnische Bewegung durch den Raum, der in einem Pseudo-Rokoko-Stil eingerichtet war. Dann hielt er zwei Finger in Richtung Bar hoch und nickte. Der von der Bar kommende Lärm war selbst aus der Entfernung noch ohrenbetäubend. Heiseres männliches Gelächter dominierte die Kakofonie, die mit gelegentlichen Rufen und schrillem weiblichem Gekreisch durchsetzt war. Kurz darauf brachte eine andere Kellnerin zwei weitere Flaschen.
    »Das ist Tillie«, stellte Brannagan sie mit einem Zwinkern vor.
    Tillie war eine Frau von unbestimmtem Alter zwischen zwanzig und vierzig. Sie war sehr klein, aber ungeheuer üppig. Dennoch wirkte sie eigenartig attraktiv. Ihre funkelnden blauen Augen, eine Stupsnase und ein Rosenmund glichen einsamen Inseln in einem wogenden Meer aus Gesichtsfleisch. Sie hatte dichtgelocktes blondes Haar. Ihre gesamte Erscheinung ließ an eine sehr sinnliche und erwachsene Shirley Temple denken.
    »Hallo Doktor«, sagte sie mit süßer Stimme. »Willkommen in Moose Creek. Ich hoffe, Ihnen gefällt es hier.«
    »Das wäre eine warme, mütterliche Brust, auf die man sein müdes Haupt betten könnte«, seufzte Brannagan, nachdem Tillie gegangen war. »Aber sie ist an solchen Sachen nicht interessiert.«
    Brannagans hemmungsloses Verhalten und sein völliges Fehlen von Manieren steckten Dafydd plötzlich an. Vielleicht wurde er allmählich

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