Zeit der Eisblueten
Zug aus seiner Zigarette. Ein langes Stück Asche bildete sich an ihrem Ende, und er bemerkte, dass Dafydd es anschaute. Auf dem Tisch stand kein Aschenbecher. Also ließ er die Asche in die Pastetenhülle fallen, die das saftige Elchfleisch enthalten hatte. Dafydd zuckte unwillkürlich zusammen. Lektion Nummer eins, dachte er entschieden, keine Allüren.
Eine attraktive dunkelhaarige Kellnerin erschien aus Richtung der Bar und kam an ihren Tisch. Sie wandte sich mit erkennbarer Vertrautheit an Ian und fragte: »Darf ich dir und deinem Freund etwas zu trinken bringen?«
»Bitte.« Ians Augen verschränkten sich kurz mit ihren. »Bring uns ein paar Flaschen Extra Old Stock und Eistee für die Dame.«
»Ich weiß, was ›die Dame‹ trinkt«, gab das Mädchen frech zurück. Dann zögerte sie. »Sind Sie der neue Arzt?« Sie stützte ihre Hand in die Hüfte und begutachtete Dafydd mit scharfem Kennerblick.
»Das ist Brenda«, mischte sich Brannagan ein und streckte die Hand aus, um die Kellnerin irgendwo in der Körpermitte zu berühren. »Bei ihr müssen Sie sich vorsehen. Sie lässt sich von niemandem was gefallen. Nicht wahr, mein Sonnenschein?«
Sheila Hailey stieß ein trockenes Glucksen hervor, während die beiden Männer zusahen, wie sich Brenda umdrehte und ging. Sie hatte stramme Beine, die energisch unter einem engen roten Rock hervorkamen und in prächtigen zweifarbigen Cowboystiefeln verschwanden. Ihr glattes schwarzes Haar schwang mit jedem scharfen kleinen Schritt absichtsvoll hin und her. Brannagan murmelte irgendetwas Anerkennendes. Dann rief er: »Herrgott, Sie trinken doch Bier, oder? Mal wieder typisch für mich, nicht zu fragen.«
Dafydd lachte. Er begriff, dass er keinen guten Eindruck zu machen brauchte. Jedenfalls nicht bei Brannagan. Er schien ein merkwürdiger Arzt zu sein.
»Sind Sie gebunden?«, fragte Sheila Hailey plötzlich.
»Wie bitte?«
»Sind Sie Single?«
»Ah, nun – ja.«
Brendas Stiefel klackten über den Holzfußboden zurück, und sie öffnete die Flaschenverschlüsse geschickt mit einer Hand. Kokett machte sie auf den Absätzen kehrt und marschierte klackend zurück zur Bar, wobei sich ihre Gesäßbacken unter dem eng anliegenden roten Stoff stolz aneinanderrieben.
»Gib dem Mann doch erst mal einen Moment, sich einzugewöhnen, ja?«, sagte Brannagan zu Sheila und versetzte ihr einen sanften Stoß mit dem Ellenbogen.
»O Gott, ich habe keinerlei Absichten«, versicherte sie und lächelte zum ersten Mal. »Ich versuche nur herauszufinden, wie lange er bleibt.«
Dafydd spürte ein empörtes Kribbeln im Nacken, aber er wollte nicht humorlos erscheinen. »Wieso interessiert Sie das?«, fragte er leichthin.
Obwohl die Frau mit ihrem herzförmigen Gesicht, ihren großen, durchdringenden Augen und ihren dichten roten Locken wunderschön war, hatte sie etwas bewusst Gehässiges an sich. »Nur mit der Ruhe«, meinte sie mit einem leicht herablassenden Lächeln. »Sie werden hier sehr gefragt sein. Das heißt, wenn Sie was taugen.«
Ian und Sheila lachten, doch Dafydd errötete peinlicherweise.
»Kein Grund zur Sorge«, sagte Ian und tätschelte seinen Arm. »Sie meint, als Chirurg, nicht als Mann.«
Dafydd versuchte, seinen Ärger zu verbergen, und wandte sich an Sheila. »Haben Sie etwas mit dem Krankenhaus zu tun, oder sind Sie … eine Freundin von Ian?«
Sheila und Ian wechselten einen kurzen Blick. Dafydd bemerkte die kurze Übereinkunft. Es war keine Wärme oder Zuneigung und auch keine Leidenschaft, sondern etwas anderes. Irgendetwas verband sie.
»Ich bin Ihre Oberschwester«, erklärte Sheila in einer Weise, die zweifellos zum Ausdruck bringen sollte, dass sie seine Chefin war. Ian sah sie ehrerbietig an. Offenbar akzeptierte er ihre Autorität vorbehaltlos.
Das kettenrauchende Paar in der Ecke hatte sich aus seiner Erstarrung gelöst und stritt sich nun. Die drei hörten dem betrunkenen Zwist ein paar Minuten lang zu. Es schien um die Rechte des Paares an einem Kleintransporter zu gehen. Sheila hob ihr Glas und kippte den Rest ihres Eistees hinunter. Dafydd betrachtete ihren Nacken. Er war zart und weiß wie Porzellan, abgesehen von zahlreichen Sommersprossen, die in dem gedämpften Licht jedoch kaum zu erkennen waren.
Sie stand auf. »Wir fangen um genau 7.45 Uhr an. Seien Sie pünktlich.« Als wolle sie ihren Befehl entweder unterstreichen oder abschwächen, legte sie, während sie an Dafydds Stuhl vorbeiging, eine gertenschlanke Hand auf seine Schulter.
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