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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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ohnehin nicht mehr. Kopfzerbrechen bereitete ihm jedoch die Frage, wie er es Mark und Miranda beibringen sollte … und wie sie die Nachricht verkraften würden.
    Dann bemerkte er ein hartnäckiges, scharfes Klopfen in seiner Brust. Er versuchte, es zu ignorieren, aber vergebens. Vielmehr wurde das dem unerbittlichen Ticken einer Uhr gleichende Klopfen lauter und schärfer. Er fragte sich, ob es sein Herz war, aber als er seinen Puls fühlte, stellte er fest, dass es eine andere Ursache haben musste. Um die Bedeutung herauszufinden, schloss er die Augen. Sofort tauchte vor ihm das Bild eines kleinen Fuchses auf, der in der Dunkelheit durch den Wald raste. Seine Füße sanken tief in den Schnee ein, aber er rannte weiter und weiter und weiter auf sein Ziel zu, vor Anstrengung keuchend … »Wenn Sie lernen, ruhig zu sein, wird der kleine Fuchs zu Ihnen kommen. Er wird Ihnen Dinge erzählen, die Ihnen niemand sonst erzählen kann.«
    Dafydds Augen sprangen auf, und er blickte sich verwirrt um. Dann erreichte es ihn, und er rannte los. Dabei stieß er Getränke von den Tischen, sodass die Leute ihn anschrien. Unterwegs suchte er in der Tasche nach seinen Schlüsseln. Die eiskalte Luft auf der Straße brachte ihn in die Realität zurück.
    Er fuhr so schnell, wie es die Straße und das Auto erlaubten, beugte sich vor und versuchte, in die Dunkelheit jenseits der Scheinwerfer zu spähen. Der Alkohol beeinträchtigte ihn nicht mehr, doch die Furcht in seiner Magengrube drehte ihm das Gedärm um.
    Endlich erreichte er den Weg zu Ians Hütte und geriet auf dem Eis ins Schleudern. Der Wagen rutschte seitwärts und blieb in einer Schneewehe stecken. Dafydd stieg aus und rannte zur Hütte. Der ferne Laut von Thorns heftigem und beharrlichem Bellen – einem Bellen, das Dafydd noch nie gehört hatte – ließ ihn vor Angst erschauern. Die Lichter brannten, und die Tür stand halb offen. Er stürzte voller Bangen hinein, doch Ian war nicht in der Hütte.
    Thorn war außer sich. Dafydd versuchte, das Tier zu beruhigen, aber es war sinnlos und nur eine Verschwendung kostbarer Zeit. Er suchte die Hütte nach einer Taschenlampe ab und entdeckte sie schließlich dort, wo sie stets aufbewahrt wurde. Er ermahnte sich zur Ruhe. Panik war nutzlos. Er zog sich alles über, was er an Kleidungsstücken finden konnte, und ging mit der Taschenlampe in der Hand los. Thorn winselte, es war ein durchdringendes, schrilles Wimmern; und dann verstummte er. Der Hund trottete zielstrebig in den dunklen Wald, und Dafydd musste rennen, um mit ihm Schritt zu halten.
    Nachdem er rund fünfzig Meter in die Dunkelheit hineingelaufen war, rief Dafydd den Hund zurück. Er rannte erneut zur Hütte und durchsuchte sie hektisch nach Streichhölzern, Zeitungen und Anmachholz. Als er schließlich alles gefunden hatte, was er brauchte, stopfte er es in einen eingestaubten Rucksack, der an einem Nagel neben der Tür hing. Thorn saß reglos im Schnee und wartete, bis sie sich wieder auf den Weg machten.
    Es waren keine Fußspuren zu sehen, aber Dafydd verließ sich auf den Hund. Einen Augenblick später entdeckte er die deutlichen, frischen Spuren von Skiern. Ian war mit den Skiern losgefahren. Es würde fast unmöglich sein, ihn einzuholen. Dafydd hatte keine Ahnung, wie lange er noch in der Bar gesessen hatte, nachdem Ian gegangen war – mindestens zwei Stunden, vielleicht auch länger.
    Unter den Bäumen herrschte eine dichte Dunkelheit, aber die Sterne am Himmel warfen ein mattes Licht auf die Lichtungen. Die Taschenlampe leuchtete schwach. Thorns abgemagerte Flanken bewegten sich mühsam ein paar Meter vor Dafydd. Bestimmt hatte Thorn versucht, Ian zu folgen, war jedoch zurückgeschickt worden oder unfähig gewesen, mit ihm Schritt zu halten.
    Plötzlich erinnerte Dafydd sich an ihren gemeinsamen Spaziergang an einem heißen Herbsttag. Thorn war damals noch ein ungestümer Welpe, und er hatte einen Hasen erlegt. Die Flöhe auf dem Hasen, einst loyal gegenüber ihrem Herrn, der sie ernährte, verließen ihren toten Gastgeber und sprangen eilig auf den nächsten warmen, mit einem Pelz umgebenen Körper. In der Tierwelt gibt es keine Loyalität gegenüber den Toten. O Gott … nein.
    Schuldgefühle und Angst trieben ihn voran. Hätte er doch nur auf das geachtet, was er wahrgenommen und was Ian ihm anvertraut hatte, dann wäre ihm klar gewesen, was geschehen würde. Im Grunde hatte er es gewusst, es sich jedoch nicht eingestanden. Er hatte sich viel zu sehr auf

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