Zeit der Eisblueten
»Diese armen Kinder sind in keiner Weise verwandt mit mir. Darauf läuft die Sache doch hinaus.« Erneut schüttelte er Ian am Arm. Dessen Kopf wackelte auf seinem Hals hin und her.
»Nein, es hat nicht den Anschein … Tut mir leid.«
»Mein Gott.« Dafydd versuchte, seine widerstreitenden Emotionen unter Kontrolle zu bringen, und atmete mehrfach tief und langsam ein. Die beiden unglücklichen Kinder lagen ihm wirklich am Herzen. »Aber wessen Kinder sind sie dann bloß? Es sind deine, nicht wahr?«
Ian lachte freudlos. »Nein … das bezweifle ich. Begreifst du nicht? Sie bekommt doch so schon all mein Geld. Sie bräuchte nicht für mich zu dealen, wenn sie einfach Unterhaltszahlungen von mir fordern könnte. Das ergibt keinen Sinn, oder?«
Dafydd wollte es sich nicht eingestehen, aber neben dem Zorn, den er über diesen Betrug, diese brutale Ausnutzung seiner Gutgläubigkeit empfand, verspürte er auch eine gewisse Erleichterung. Aus diesem Grund war seine Empörung über das, was Miranda und Mark angetan worden war, sogar noch größer. Ein grausamer Streich, den ihre eigene Mutter ihnen mutwillig gespielt hatte, um ein paar Dollar herauszuschlagen oder Dafydd ein reales oder eingebildetes Vergehen heimzuzahlen oder um ein Spiel zu machen – das Ergebnis ihres Einfallsreichtums und ihrer Gerissenheit. Er knallte die Faust auf den Tisch, sodass die Gläser klirrten. Ein paar Leute drehten sich um und betrachteten ihn mit gutmütiger Neugier. Die Bar hatte sich gefüllt, und die Gäste begannen, laut und fröhlich zu werden. Sein Ausbruch war nichts Ungewöhnliches.
»Du kannst doch eigentlich nicht allzu überrascht sein«, sagte Ian. »Schließlich hast du sie nie richtig gefickt, oder?«
Ein paar Sekunden vergingen, in denen Dafydd so kurz wie noch nie in seinem Leben davor war, einem anderen Mann mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Er konnte sich sogar schon plastisch vorstellen, wie er das Nasenbein zerschmetterte und die Splitter der ausgeschlagenen Zähne die Haut an seinen Fingerknöcheln zerfetzten. »Du Bastard«, zischte er und biss einen Moment lang die Kiefer fest aufeinander, um seine Aggression im Zaum zu halten. »Du wusstest ganz genau, dass ich die Ergebnisse des DNA-Tests nicht anzweifeln konnte. Wie konntest du das durchhalten und mir dabei Tag für Tag in die Augen sehen?«
An der Bar kam es zu einem Tumult. Ein kleiner, glatzköpfiger Mann in einem zerknitterten Anzug versuchte, mit zwei Indianern einen Kampf vom Zaun zu brechen. Die Anwesenden ergriffen Partei und lachten brüllend. Beide Männer blickten in Richtung des Krawalls, und die Spannung zwischen ihnen legte sich für einen Moment.
»Weißt du«, sagte Ian gefasster, »mir war klar, dass dies irgendwann auffliegen würde. Ich hätte es dir erzählt, glaub mir. Ich hab sogar alles niedergeschrieben und unterzeichnet. In der Hütte sind zwei Briefe, jeweils in dreifacher Ausführung. Im Schrank neben meinem Bett. Nur für den Fall … weißt du?«
»Für den Fall, dass du dich in nächster Zeit zu Tode säufst und fixt? Damit du posthum dein Gewissen erleichtern kannst?«, entgegnete Dafydd kalt und wandte den Kopf ab.
»Ja. So was in der Art.« Ian erhob sich. »Jetzt muss ich nach Hause, oder ich werde nicht mehr imstande sein zu fahren. Ich gehe jetzt, Dafydd. Ich bedaure das alles sehr, glaub mir, ich bedaure es wirklich.«
Dafydd blickte nicht auf, als Ian ging. Die Kellnerin brachte eine weitere Runde, und er ließ sich ein Bier geben. Lange saß er da – eine Stunde, zwei Stunden –, er hatte kein Zeitgefühl mehr. Wie gelähmt starrte er in den wabernden Rauch unter der Attrappe einer Scheunendecke. Überwiegend dachte er an gar nichts, als hätte der Schock seine letzten emotionalen Reserven zerstört. Vor ihm lag eine völlig unsichere Zukunft und hinter ihm seine trügerische Vergangenheit.
Er wusste nicht, wie er voranschreiten sollte, und er konnte nie mehr zurückkehren. Was er besessen hatte, war unwiderruflich verloren. Er dachte an Isabel. Wie viel hätte diese Nachricht ihm ein paar Monate zuvor bedeutet. Er hätte ihr beweisen können, dass alles eine Täuschung war. Dass sie ihm unrecht tat. Dass er nicht gelogen hatte. Dass er die verabscheuungswürdige Frau nicht geschwängert hatte … Nun aber bedeutete ihm all das nichts mehr. Er bezweifelte, dass er sich je die Mühe machen würde, es Isabel mitzuteilen. Wahrscheinlich würde sie ihm nicht glauben, aber ihre Meinung interessierte ihn
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