Zeit der Eisblueten
Glanz war aus Ians Augen verschwunden, und er senkte den Kopf, um Dafydds beharrlichem Blick auszuweichen. »Es war mir klar, dass ich es dir irgendwann würde erzählen müssen«, sagte Ian leise, »aber ich habe gehofft, dass es nicht so bald sein würde.«
»Was, zum Teufel, meinst du?«, drängte Dafydd erneut.
»Es wird dir nicht gefallen, Dafydd.« Er hielt inne und drückte seine Zigarette langsam aus. »Es stimmt, der Junge ist dein Sohn. Woher hat Sheila denn wohl das Blut für den DNA-Test bekommen?«
Dafydd packte mit aller Kraft Ians Arm. »Also wusstest du darüber Bescheid.«
Ian hob überrascht den Kopf. »Wie hast du das herausgefunden?«, fragte er nach einem Moment.
»Mach dir darüber man keine Gedanken«, knurrte Dafydd. »Mich interessiert, wie viel du darüber weißt. Ich hatte inständig gehofft, dass du nicht Teil dieser Verschwörung warst.«
»War ich auch nicht.« Ians Kopf war noch tiefer auf seine Brust gesunken, aus Scham oder Trunkenheit oder beidem. Er schaute zu Boden. »Zumindest nicht am Anfang.«
»Wie hat Sheila das angestellt?« Dafydd packte ihn wieder am Arm und schüttelte ihn heftig. »Sag mir, wie, verdammt.«
»Ach komm, Dafydd, es war ganz einfach. Als Krankenschwester in der Notaufnahme hat sie einfach beiden – dem Jungen und seiner Mutter – Blut abgenommen. Daran war nichts Ungewöhnliches. Tun wir das nicht immer? Aber nicht alles ging ins Labor. Irgendwann hatte sie offenbar diesen unglaublichen Geistesblitz. Also nahm sie etwas von dem Blut mit nach Hause und stellte es in ihren Kühlschrank … oder in ihren Gefrierschrank, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern.«
»Aber warum hat sie das getan?« Dafydd schüttelte verwirrt den Kopf. »Sie kann doch unmöglich gewusst haben, dass der Junge mein Sohn ist.«
»Das hat sie sofort herausgefunden. Wenige Minuten nach ihrer Ankunft. Sie fragte die Mutter nach ihren nächsten Angehörigen, aber die Frau hatte keine Verwandten. Also erkundigte sich Sheila völlig korrekt nach dem Vater … und du weißt, wie beharrlich sie sein kann. Die Mutter war schrecklich besorgt, und sie plauderte alles aus. Und warum auch nicht? Sie dachte, dass ihr Sohn im Sterben lag, alles andere hatte keine Bedeutung für sie.«
»Also hat Sheila erfahren, dass ich der Vater des Jungen bin.« Dafydd hatte Ian das Gesicht bis auf wenige Zentimeter genähert, und seine Stimme war eisig vor kaum kontrollierter Wut. »Und sie hat sich entschlossen, das Blut meines Sohnes und das Blut seiner Mutter zu stehlen und es als das Blut von Mark auszugeben … und als ihr eigenes.«
»Ja.«
»Aber warum um alles in der Welt hat sie das getan? Warum wollte sie ausgerechnet mich festnageln, wo ich doch Tausende von Kilometern entfernt wohne?«
»Weil sie die Mittel dazu hatte. Weil sie alte Rechnungen begleichen wollte, einen lang gehegten Hass empfand, aus Geldgründen. Ich weiß es nicht – frag sie selbst. Vielleicht wollte sie einfach nur herausfinden, ob sie damit durchkommen könnte.«
Sie schwiegen eine Weile. Ian zündete sich eine neue Zigarette an und inhalierte tief. Seine Hände zitterten, und er kippte seinen Jack Daniels mit einem Schluck hinunter. »Sheila ist erstaunlich in solchen Sachen«, sagte er fast bewundernd. »Was man auch sonst von diesem Plan halten mag, er war unglaublich genial. Ich habe sie immer als Psychopathin wie aus dem Lehrbuch eingeschätzt, aber Junge, wie schlau sie dabei ist. Wer sonst hätte sich so etwas ausdenken können?«
»Ja, ich bin voller Bewunderung«, meinte Dafydd sarkastisch. »Und du wusstest davon – seit wann?«
»Noch nicht, als ich die Papiere unterschrieb, in denen stand, dass ich das Blut abgenommen hatte, sondern später. Sheila bekam es mit der Angst zu tun, als du hier auftauchtest, und sie wollte meine Unterstützung kaufen. Sie kündigte an, dich endlich zur Strecke zu bringen. Ich wollte es dir erzählen, aber dann merkte ich, dass du gut mit den Kindern auskamst … und es gefiel mir, dich in der Nähe zu haben. Ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Sheila hat mir gedroht. Weißt du, Sheila und ich sind schon lange … so was wie Komplizen. Ohne mein Zutun.«
»Blödsinn!«, fauchte Dafydd. »Man trägt immer etwas dazu bei. Wie konntest du nur so tief sinken?«
»Tja, es ist eben passiert. Ich bin nicht stolz darauf.«
»Was ist mit Mark und Miranda?« Dafydd spürte, wie es ihm beim Eingeständnis dessen, was er bereits wusste, die Kehle zuschnürte.
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