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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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ganz allein zu wohnen, ohne jegliche Gesellschaft.
    Doch diese Vermutung wurde widerlegt, als ein beigefarbener Hund aus dem Nichts angeschlendert kam und mit dem Schwanz wedelte. Dafydd hatte Hunde immer gemocht, aber nie einen besessen. »Du bist auch nicht gerade ein toller Wachhund«, sagte er und bemerkte erst jetzt, dass es sich um einen riesengroßen Welpen handelte. Er kraulte das zutrauliche Tier hinter den Ohren, das ihm daraufhin die nackten Knie ableckte.
    Neben der Tür standen zwei Korbstühle. Auf einem lag ein Fell. Dafydd berührte es und beugte sich dann hinab, um an dem beißenden Geruch zu schnuppern. Ein kurioser Geruch nach Tier und konzentriertem Rauch. Ein Karibufell. Er kannte den Geruch von einem Paar bestickter Stiefel, mukluks, die er einer Ureinwohnerin abgekauft hatte.
    Dafydd setzte sich auf den Stuhl und wartete. Der Hund hockte sich neben ihn und lehnte sich schwer gegen seinen Oberschenkel. Die Sonne stach bereits, aber in der Kühle der Veranda summten die Mücken unbekümmert durch die Luft. Er war mit Insektenstichen übersät. Blutsaugende Kreaturen hatten sich schon immer freudig auf ihn gestürzt. Eine Dermatologin hatte ihm einmal erklärt – damals fand er das ziemlich unprofessionell –, dass es sein dunkler Teint und seine feine Haut seien, die ihn so appetitanregend machten. Er rieb sich die zerstochenen Knöchel, doch das verschlimmerte seine Qual nur.
    Ein Flugzeug brauste über ihn hinweg. Er blickte ihm nach, wie es gen Süden flog. Obwohl er das Fliegen hasste, ergriff ihn eine Sehnsucht, an Bord genau jener Maschine zu sein. Aber sie verschwand ohne ihn in Richtung Zivilisation und ließ einen Kondensstreifen zurück. Die Blätter rollten sich bereits an den Rändern ein. Der Herbst kam früh im Norden.
    »Zum Teufel, was ist das denn?«
    Ian Brannagans Kopf ragte plötzlich aus einem der Fenster hervor. Morgens sah er Jahre älter aus. »Es ist Sonntag, Mann. Was machst du hier?«
    Der Welpe überschlug sich vor Freude und rannte nach seinem Schwanz schnappend die Veranda entlang.
    »Dachte, dass du vielleicht einen Spaziergang machen wolltest.«
    »Einen Spaziergang?«
    »Ja, ein bisschen Bewegung, frische Luft und so.«
    »Du spinnst wohl.«
    Ian zog den Kopf ins dunkle Hausinnere zurück, aber ein paar Minuten später trat er aus der Tür und schloss die beeindruckende Silberschnalle an seinem Gürtel. Sein Oberkörper war nackt. Er war weiß und mager, hatte jedoch gut ausgebildete Muskeln. Eine zackige, unebene Narbe verlief von der Brustwarze quer über den Rumpf und verschwand unter seinem Gürtel.
    »Mein Gott, das war aber schlechte Arbeit«, rief Dafydd. »Was war’s denn? Eine Herz-Lungen-Transplantation?«
    »Nee, eine Prügelei.«
    »Sieht aus, als hättest du Besuch von einem Präparator gehabt.«
    »O nein, diese Knaben verrichten hier wirklich gute Arbeit. Wenn du irgendwas fängst, bringe ich dich zu einem guten. Einem richtigen Meister.«
    »Mir macht das Töten von Tieren keinen Spaß. Aber wenn das nicht der Fall wäre, was gäbe es dann hier?«
    »Kannst du dir aussuchen. Dallschafe, Bergkaribus und etwas höher Ziegen. Elche, Vielfraße, Schwarzbären, Grizzlys und Wölfe gibt’s ganz in der Nähe. Aber pass auf, einige Arten sind geschützt, und du brauchst eine Lizenz. Aber es ist einfach, das zu umgehen. Brauchst mich bloß zu fragen.«
    Einen Moment lang saßen sie schweigend da. Ian sah krank aus. Er war leichenblass. Sein leicht verzerrtes Gesicht verriet Schmerz.
    »Alles klar mit dir?«
    »Ja, alles in Ordnung«, seufzte Ian und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. »Nur ein mächtiger Kater. Nichts, was ein Spaziergang nicht kurieren könnte.«
    Unter den Bäumen war die Luft kühl und still. Alles sah braun aus. Nur auf den Lichtungen schoss die Vegetation in lebhaftem Grün aus dem Boden und hob sich gegen das dunkle Innere des Waldes ab. Sie waren eine Stunde lang direkt von Ians Haus in den Wald gegangen. Dafydd schlug nach den Mücken, aber Ian schien immun gegen sie zu sein. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen, und die Insekten ließen sich ständig auf seinem Körper nieder. An Orten, an denen sie wie schwarze Wolken auch in die Augen und Nase flogen, drosch Dafydd voller Panik auf sein Gesicht ein. Er hatte gelesen, dass Menschen ebenso wie Karibus während der Insekten-Hauptsaison von diesen Wolken aus Mücken und Pferdebremsen an den Rand des Wahnsinns getrieben werden konnten.
    Bevor sie eine Lichtung betraten,

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